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Bildung und Hochstühle

Unterwegs im Bus. Gute Musik in den Ohren. Hardenbergstraße Richtung Ernst-Reuter-Platz. Gleich bin ich da, wo ich sein möchte. Mir gegenüber sitzen zwei sich unterhaltende Frauen mittleren Alters. Soweit ganz harmlos. Doch als die eine immer häufiger die Stirn runzelt und die andere immer stärker ihren Kopf schüttelt, möchte ich wissen, um was es geht. Unauffällig die starken Töne leiser gedreht. Na, besser ganz aus, damit ich nichts verpasse.

„Nein, das finde ich nicht!“, sagt jetzt die mit den leicht ergrauten Haaren im Schläfenbereich. „Viel zu  lasch, viel zu unkonsequent die Lehrer hier! Und die Studenten, schauen Sie sich doch die mal an. Ein Lotterleben ist das doch, was die führen. Die lernen doch alle nichts mehr. Was die …“ Die Frau mit der dunkelgrünen Wollmütze zieht die Augenbrauen zusammen und unterbricht vehement.
„Das ist doch jetzt nicht Ihr Ernst. Das können Sie doch jetzt nicht sagen! Meine Tochter absolviert auch ein Hochstuhlstudium!“
Und eigentlich möchte sie weiterreden, sich auslassen über das, was ihr Kind in der Universität alles leisten muss und wie stolz sie darauf ist.

Doch dazu kommt es nicht mehr, denn sie sieht mich grinsen.  Ungläubig schaut sie erst mich und dann ihre Sitznachbarin an. Diese grinst ebenfalls – dann prustet sie los. „HochSTUHLstudium“ sage ich, zucke lächelnd mit den Achseln und sehe zu, dass ich zum Ausgang komme.

Wenn der Maler zweimal klingelt …

10.00 Uhr. Es klingelt an der Tür. Gerade noch in Gedanken verloren, schrecke ich zusammen. Was war denn heute? Ach ja, der Maler. Etwas schwerfällig bewege ich mich in Richtung Tür. Da klingelt es auch schon wieder. „Jaja, ich komme ja schon.“
Klein ist er, der Malermeister. Seltsame Kurzhaarfrisur, Brille. Freundlicher Gesichtsausdruck. Er ist wohl so um Mitte 30. Grinst mich an.

„Tach, ick bin der Maler. Watt soll’n hier eigentlich jemacht wern?“ Oh Gott. Na, wenn der das nicht weiß …
„Ähm, letzte Woche wurden hier die Gasrohre ausgetauscht, und ein paar Tapetenstücke wurden erneuert, die jetzt über…“
„Ach jenau“, unterbricht er mich. „Jetzt habbicket wieda.“ Na, das ist aber schön. Und es beruhigt mich fast schon ein bisschen.

Ich möchte zurück zum Schreibtisch gehen, jede Menge Arbeit, die da noch wartet. Na, warten ist eigentlich ein viel zu milder Ausdruck. Nein, sie wartet nicht. Sie lauert. Wah. Ich tappe  in die Küche, setze Wasser für einen türkischen Kaffee auf. In Gedanken bin ich bei ihr, der penetranten Arbeit. Ich denke an den Kunden dahinter. Tiefes Einatmen. Tut das gut …

„Sind Sie Klavierspielerin von Beruf?“, ruft es aus meinem Wohnzimmer. Ich wähnte den Maler im Flur, und nun kommt seine Stimme doch tatsächlich aus meinem Wohnzimmer.
„Äh, nein. Ich bin Journalistin.“
„Ach sooo, na ick frach wegen den Klavier da.“ Er zeigt auf mein wunderschönes, inzwischen fast dreizehn Jahre altes schwarzpoliertes Rönisch.
„Ja. Nee … So, ich muss jetzt mal weitermachen.“
„Darf ick ma fragen, wie alt Sie sind?“ Na, die Frage ist doch ein bisschen intim. Aber ich habe ja kein Problem mit meinem Alter. Noch nicht.
„Klar dürfen Sie.“ Ich warte, dass er fragt. Ein bisschen dumm schaut er aus der Wäsche. Noch ein tiefes Seufzen meinerseits.
„29. Noch.“
„Oh, sehen aber aus wie 24! Ehrlich, ick sach dit nich nur so.“ Natürlich nicht.
„Danke.“
„Für dit Kompliment hab ick jetz een Kaffee verdient, wa?“ Er kichert. Ich finde das nicht komisch, verbietet mir doch meine Gastfreundschaft, nein zu sagen. Mist!

Der Maler macht sich im Flur an die Arbeit. Er schweigt. Genau zwei Minuten. Denn als ich ihm den Kaffee bringe, plappert er unentwegt weiter: von seiner zwölfjährigen Ehe, seinen beiden Kindern. Die Tochter ist elf, der Sohn ist acht.  Seine Kleine hat zwei Handys und einen Laptop. Und sie wird bald 14. Und dann beginnt sicher auch ihr Sexualleben. In seiner Jugend hätte man damit erst viiiel später begonnen. Ich schaue mir den Kerl genauer an. Schelmisches Grinsen, selbstsichere Körperhaltung. Na klar.
„So, ich muss jetzt wirklich arbeiten.“
„Meene Frau …“
Ich gehe ins Arbeitszimmer und schließe die Tür hinter mir.
Zwanzig Minuten später verabschiedet er sich. „Schüss!“, ruft er durch die Tür. Und dann ist er weg.

Bahnsinn

„Moooment mal, junger Mann! Sie woll’n doch nich etwa ooch noch hier rinn?!“Der Service-Mitarbeiter der BVG ist klein und untersetzt. Und er hat ein äußerst unsympathisches Gesicht. Auf jeden Fall ist er gestresst. Liegt wohl an der momentanen Nahverkehrssituation hier in Berlin: Die S-Bahnen verkehren unregelmäßig, zu wenige Züge sind im Einsatz. „Sie seh’n doch, dass hier allet voll is!“ Der BVG-Mann funkelt den ahnungslosen Jüngling mit dem Fahrrad draußen vor der Waggontür vom Gang aus mit hochrotem Kopf an. Ich staune. So klein wie der Kerl ist, so laut kann er auch schreien: sehr.

Der große Blonde mit dem Drahtesel kratzt sich verlegen an der Wange und sieht verunsichert aus. „Hier sind schon Räder drin. Sie passen hier nicht auch noch rein! Fahren Sie mit Ihrem Rad!“, schnaut der BVG-Mitarbeiter weiter. Ich spüre Wut in mir aufsteigen. Nun ist es ja auch mal wieder gut. Der Junge wendet sich mitsamt seinem Rad kopfschüttelnd und verlegen grinsend zum Gehen ab. Ruhe. Zumindest vorerst.
„Unmöglich“, sagt der BVG-Mann eine halbe Minute später zu seinem Kollegen. „Bei dieset schöne Wetta will der mit sein Rad hier rin. Wozu hat’n der eens. Der is jung, der kann doch ooch ma seine Muskeln benutzen.“ Der Kollege schaut verlegen drein. Der andere ist ihm sichtbar peinlich. Ich möchte etwas sagen, doch jetzt herrscht Ruhe. Vorerst.

Wir erreichen den Bahnhof Gesundbrunnen. Bisher war eine ganze Weile Ausstieg in Fahrtrichtung links, jetzt ist rechts dran. Ich stehe in der mittleren Tür auf der anderen Seite. Mist. Ich ahne Schreckliches, als die Bahn hält und ich versuche, mich so schmal wie möglich zu machen, um die Reisenden aussteigen zu lassen. Ich dränge mich an die Glaswand an der Seite der Bahntür. Die Passagiere quetschen sich an mir vorbei, ziehen Schultern und Bauch ein. Ich kann nicht aussteigen, denn ehe ich wieder im Zug sein werde, wird dieser hoffnungslos überfüllt sein und mir keinen auch noch so winzigen Platz bieten.

„Junge Frau!“ schreit es aus dem Gang. Ich hab’s geahnt. Seufzen meinerseits. Redet er alle mit „junger Mann“ oder „junge Frau“ an? Auch 99-Jährige? Ja, ganz bestimmt tut er das. Er ist der Typ dazu. Ich grübele darüber nach, warum er wohl so unzufrieden sein mag … Jetzt ist er auf einmal ganz in meiner Nähe – neben mir. Genau mir gegenüber! „Sie seh’n doch, dass die anderen aussteigen woll’n!“, seine Stimmbänder vibrieren wütend, seine Augen ein einziges Funkeln. Ich schaue an ihm herab und lächele. Ein kurzes, kaum merkliches Zusammenziehen der Augenbrauen. „Müssen Se hier jenau im Weg steh’n?!“ Mir platzt beinahe der Kragen, doch ich kann meinen Unmut im Zaum halten. Ich lächele weiter und atme langsam in den Bauch, dann wieder aus. Das soll ja helfen.

Das Atmen hilft nicht: Noch während er aus der Tür geht und bereits auf die Treppe zusteuert – den humpelnden Kollegen im Schlepptau – reißt die Lautstärke in seiner Stimme nicht ab. Was er sagt, ist wirklich nicht freundlich. MIr reichts. In drei langgezogenen, einzeln betonten Silben brülle ich ihm hinterher: „FREUND-LI-CHER!?“ Doch murmelt steigt er die Stufen der Treppe hinab.