Archiv der Kategorie: Psychologie

Wenn Kids flunkern

Dein Kind hat hinter Deinem Rücken klammheimlich die Schokolade aus dem Schrank gemopst und dann auch noch behauptet, es nicht gewesen zu sein – mit diesem zuckersüßen Lächeln auf dem Gesicht? Das kommt mir bekannt vor: Meine beiden Söhne sind im August dieses Jahres fünf und acht Jahre alt geworden und flunkern auch, dann und wann. Bleibt locker, aber dennoch wachsam.

Am Abend: „Reingelegt mit Klopapier, eine Rolle schenk ich Dir!“ Mein Fünfjähriger hüpft aufgeregt um mich herum, der Schalk blitzt ihm aus den Augen.

Was ist passiert? Vor etwa einer Minute noch rief er: „Mama, hinter Dir steht ein Elch, wirklich!“ Ein Elch, hier. Ah! Ich verstehe: Der Piefke will mich vereimern. Na fein, dann spielen wir mal mit. „Wo?!“, rufe ich ebenfalls und drehe mich dabei hektisch um. Und dann ertönt es eben laut: „Reingelegt mit Klopapier … !“

K. freut sich diebisch, dass er es offensichtlich geschafft hat, seine Mama aufs Korn zu nehmen. Jetzt will es natürlich auch P. wissen. „Mama, guck mal, da draußen ist ein Storch!“ und zeigt aus dem Fenster. Na gut. Dann wollen wir mal … „Wo!?“ Ich. „Reingelegt mit Klopapier, eine Rolle schenk‘ ich Dir!“ Ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Danke“, sage ich gespielt, aber betont würdevoll, „fürs Klopapier. Kann man immer gut gebrauchen.“ Die Knirpse lachen sich scheckig.

Vorletzten Samstag: Wir sitzen bei der Schwägerin an der Kaffeetafel. Sie fragt unseren Achtjährigen: „Die Ferien sind ja fast vorbei. Freust Du Dich auf die Schule?“ Ich weiß die Antwort: Und wie! Die sechs Wochen waren zwar schön, aber doch ziemlich lang … „Nö!“ Vehement schüttelt das Kind plötzlich den Kopf. Hm? „Wie? Du vermisst Deine Freunde gar nicht?“ Meine Schwägerin wundert sich doch sehr. Erneut: „Nö!“ Der lügt doch!

Lügen: eine Frage der Entwicklung
Bereits kleinen Kindern scheint das Lügen so richtig viel Spaß zu machen. Und auch ich bekomme mit, wenn meine Jungs flunkern – finde es aber ehrlich gesagt (noch) nicht so schlimm. Vorwürfe, ermahnende Diskussionen oder Schlimmeres sind da in meinen Augen wenig nutzbringend. Denn was tun die lieben Kleinen (und Größeren), die betraft werden, erfahrungsgemäß? Genau: noch mehr und heftiger lügen – aus Angst zum Beispiel. Ich versuche also, zunächst einmal den Grund fürs Flunkern herauszubekommen, denn irgendeine Absicht steckt nun mal hinter diesem Verhalten.

Wie denken andere darüber? In den sozialen Netzwerken frage ich ein paar Erwachsene, wie sie dem Thema „Lügen“ in ihrer Familie gegenüberstehen. Anne (43) aus Münster sagt: „Moralisch betrachtet finde ich Lügen auf der Erwachsenenebene schlimm. Kinderlügen messen wir meiner Meinung nach aber zu viel Gewicht bei; immerhin muss der Mensch im Laufe seines Lebens auch erst einmal lernen zu lügen. Dafür müssen wir unseren Kleinen den Raum geben.“

Das Spiel mit der Wahrheit
Eine Frage der Entwicklung also? Definitiv; darüber sind sich auch Kinder- und Jugendpsychiater einig: Das Spielen mit der Wahrheit gehört eben zur kindlichen Entwicklung. Ich lese noch einmal nach: nämlich, dass Kinder bis zu ihrem vierten Lebensjahr zwischen wahr und falsch sowieso noch keine klare Trennung ziehen können. Sie fantasieren, übertreiben, spielen mit imaginären Freunden … Das ist doch wunderbar, finde ich, und überhaupt kein Grund zur Sorge.

Mit etwa sechs Jahren, also im Vorschul- und frühen Schulalter, erlangen Kinder die Fähigkeit, komplexere Situationen zu überschauen und abzuschätzen: Wie kann ich die Wahrheit verändern? Was passiert, wenn ich einfach behaupte, mir bereits die Hände gewaschen zu haben? Das ist natürlich absolut harmlos und ohne jedwede böse Absicht. Würde aber zum Beispiel einer meiner Söhne dauerhaft falsch angeben, schon seine Zähne vorgeputzt zu haben, würde ich wieder konsequent mit dabei zu sitzen, bis ich wieder „sicher“ bin: Sie tun es auch wirklich. Denn hier geht es um etwas „Essenzielles“: Karies ist sowohl kurz- als auch langfristig wirklich richtig doof. (Und nebenbei erkennen die Kinder im übrigen, dass Wahrheit mit Vertrauen zu tun hat …)

Wo sind die Grenzen?
Der 43-jährige Sven lebt in der Nähe von Leipzig; er sagt dazu: „Ich habe zwar keine Kinder, glaube aber, dass sie flunkern/lügen, weil sie die Welt erforschen und verändern möchten.“
Und genau das ist es: Stück für Stück mehr Erfahrung mit dem Leben und der Welt sammeln, Antworten finden auf die Frage: Was ist „erlaubt“ und was nicht? Wo sind meine Grenzen, wo die der anderen?

„Für die Kleinen sind Begrifflichkeiten wie Lüge und Wahrheit noch keine festen Größen, es sind dehnbare Werte. Das Verstehen von Richtig und Falsch, von Lüge und Wahrheit muss sich erst langsam herausbilden“, fasst es Hubertus (55) aus Quakenbrück noch einmal prima zusammen. „Man kann einem Dreijährigen nicht das Verständnis abverlangen, das sich ein Zehnjähriger gerade so erarbeitet hat.“

Doreen, 49, aus Hamburg bespricht deshalb alles vis-à-vis mit ihren vier Kindern im Alter von sieben bis 17 Jahren – auch das Thema Unehrlichkeit. Und je nach Alter immer auf verschiedenem Niveau. „Meine Jungs und Mädels wissen: Menschen sind aus verschiedenen Gründen unehrlich: aus Unsicherheit, Höflichkeit. Ob kleine oder große Lügen: Sie helfen nun einmal auf lange Sicht nicht, wirklich etwas zu verändern. Wir vermitteln unseren Kindern: Ehrlichkeit kann Schmerzen verursachen; es ist aber immer noch besser als zu flunkern – zumal aus einem Geflunker auch schnell eine fette Lüge erwachsen kann, die schlimme Konsequenzen mit sich bringen kann, sowohl für den Lügner als auch für den Belogenen.“

Die sechsköpfige Familie redet offen über den Wert von Aufrichtigkeit und Vertrauen „und die Wertschätzung, die es bedeutet.“ Darf ich also der Oma sagen, dass ihr Geburtstagsgeschenk mir überhaupt nicht gefallen hat? „Ja!“, findet Doreen. „Aber bitte wertschätzend.“

Offenheit von Anfang an
Wie ist es aber beispielsweise mit Lügen, die anderen Kindern schaden? „Die sollte man auf keinen Fall mit einem Augenzwinkern abtun“, meldet sich die 44-jährige Grundschullehrerin Maike aus Bochum zu Wort. „Hier sollte das Kind zur Rede gestellt werden. Lehrer und Erziehungsberechtigte müssen erklären, dass man mit seinen Mitmenschen so nicht umgehen darf. Dazu bedarf es einer idealerweise bereits im Elternhaus vermittelten Offenheit in solchen Dingen.“

Sonja, 35 Jahre alt, aus München, hinterfragt zur Zeit tatsächlich ihr eigenes Verhalten: „Als ich einmal herausfand, dass mein achtjähriger Sohn für mein Empfinden und über einen längeren Zeitraum schlimm gelogen hatte, fragte ich ihn, warum er mir denn nicht gleich am Anfang die Wahrheit gesagt habe. Er begann das Weinen und erwiderte, er habe Angst vor Bestrafung gehabt und sich eben deshalb nicht getraut. Es wüteten wohl einige Dämonen in seinem Kopf … Da habe ich natürlich geschluckt und mich gefragt: War ich sonst zu streng? Ich versuche jetzt konsequent, meinem Kleinen zu vermitteln, dass er mir wirklich alles sagen darf und kann.“

Auch der 51-jährige Oldenburger Torsten sammelte in der Vergangenheit so manche negative Erfahrung mit dem sensiblen Thema: „Wenn meine Tochter damals log, beunruhigte mich das. Denn sie tat es aus Angst davor, Fehler oder Missgeschicke zuzugeben. Aus meiner Sicht war die Furcht unbegründet, es gab ja keine Strafen oder Gemecker, Fehler sind doch menschlich. Gleichwohl hat sie oft gelogen … Das hat sich inzwischen mit jetzt 18 Jahren gelegt.“

Alles braucht also seine Zeit – findet auch Hubertus – und hat gleich ein prima Schlusswort für diesen Text parat: „Lasst den Kindern doch erst mal ihre Sicht auf die Dinge, ihre Zeit zum Lernen und Verstehen ist schon kurz genug.“

Yogitee hat immer recht

Lange habe ich überlegt, ob ich das Folgende hier und jetzt veröffentlichen soll – so ganz echt und richtig konsequent ohne Passwortschutz. Und ich weiß eigentlich auch gar nicht so recht, wie ich etwas derart Komplexes überhaupt beschreiben soll …

Eine kürzlich von mir auf Facebook gestartete Umfrage zum Thema „Spricht man in der Öffentlichkeit über psychische Leiden?“ hat mich dann doch zum Ja bewegt. Genau wie die Aussage einer lieben Berliner Freundin: „Ja, es gehört doch zu uns.“ Zu uns? Ja, denn sie ist auch betroffen. Und „solche wie uns“ gibt es so viele  …

Einfacher macht mir den Einstieg in dieses, mein Thema heute auch der Yogitee, den ich gerade trinke, der mir die kalten Finger wärmt und das brennende Herz beruhigt: „Ein entspannter Geist ist kreativ“ lautet der tiefgründige Spruch auf dem Teebeutelanhänger. Beige Schrift auf braunem Untergrund. Sieht schön aus. Gestaltung und Geschmack schmeicheln meiner – auch „ästhetisch-empfindsamen“ – Seele.
Im Hintergrund läuft ein entspannendes Café-Del-Mar-Album. Ein etwas älteres. Eines von denen, die noch so richtig gut waren.

Yogitee hat immer recht
Ja, stimmt das? Ist ein entspannter Geist kreativer als ein unentspannter? Ich frage auch danach auf Facebook. Jemand antwortet mir dazu: „Der Yogitee hat immer recht“. Dieses Zitat eignet sich doch wunderbar für einen Buchtitel. (Danke für die heutige Inspiration, lieber Michael.)
Ich überlege. Ja, stimmt sicher. Irgendwie jedenfalls. Aber kann jemand nicht auch kreativ sein, der gerade nicht entspannt ist? Der vielleicht nie richtig „ent-spannt“ ist. Der vielleicht sogar dauerangespannt – ja sogar … bedrückt ist?

Und da ist er auch schon.  Mein Anfang. Der Einstieg.
Ich bin depressiv. Mit fiesen Panikattacken dann und wann. Jemand, der beim Anblick eines überfahrenen Vogels oder Igels schon weinen möchte (und es oft auch tut).
Melancholisch und nachdenklich beobachtend war ich schon als ganz kleines Mädchen, sagen meine Eltern. Sah mich meine Mutter bedrückt am Essenstisch sitzen und fragte, was denn los sei, konnte ich manchmal nur antworten: „Keine Ahnung, Mama. Ich habe wieder … ‚Heimweh‘ …“

Ich weiß gar so nicht recht, wann das angefangen hat mit der Krankheit. Ja, es ist eine Krankheit. Nicht unbedingt – so wird immer gern behauptet – wie jede andere auch (denn diese hier droht ab und zu Deine Seele zu verschlingen). Wahrscheinlich im Mutterleib, meine Mutter und deren Vater – ein Maler und Wortkünstler – neigen auch zu diesem Leiden. Ererbt also? Zu einem sehr großen Teil tragen allerdings auch diverse sehr unschöne Erfahrungen bei. Das kann ich schon mal mit Sicherheit sagen.

Ich kenne diese Gefühle also eigentlich schon mein Leben lang – mal mehr und mal wenig(er) heftig. Und beschreiben kann ich sie schon gar nicht. Nur darum bitten, sie anzunehmen, sie zu akzeptieren, sie bitte noch gesellschaftsfähiger werden zu lassen („salonfähig“, sagt meine Berliner Freundin). Denn eine Depression ist eine Krankheit wie jede andere auch. Nur, dass man sie eben nicht (sofort) sieht.

Heilung durch „Zusammenreißen“, Sport und Medikamente?
Die Krankheit, so heißt es, ist ein „Arschloch“. Stimmt, sie stinkt zum Himmel und haut sogar den stärksten Kerl um – oder eben die stärkste Frau. Wer noch nie wenigstens eine „depressive Episode“ im Leben durchgemacht hat, kann auch nicht nachvollziehen, was „Depression“ eigentlich bedeutet. Dabei bezeichnet der Begriff eigentlich schon ganz gut, was sie birgt: absolute Niedergeschlagenheit, gnadenlose Hoffnungslosigkeit, tiefschürfende Traurigkeit. Das Gefühl, nichts wird wieder gut … unbeschwert, beschwingt, heiter, lustig.

Bei mir dauert die aktuelle akute „Episode“ jetzt seit vergangenen Januar an. Es ist mal mehr und mal weniger schlimm. Ja, es gibt Mittel und Wege. Sport, Selbsthilfe, Medikamente … Aber ganz verschwindet diese Krankheit wohl nie. Sie ist ein Teil von mir. Ich lebe mit ihr.

Und ich wage jetzt den Schritt, darüber zu berichten. Warum mache ich das? Warum kehre ich mein Innerstes auf diese Weise nach außen? Bin ich denn bescheuert? Warum muss es im Internet sein? Was ist, wenn ich deshalb meinen Traumjob nicht bekomme … ? Und so weiter. Fragt mich ein Freund. Ich sei doch dermaßen angreifbar.
Na und? Eben weil: Es gehört zu mir!
Ich lasse das jetzt einfach mal so stehen.
Aber vielleicht zeigt es anderen Betroffenen ja, dass sie nicht allein damit sind. Vielleicht trauen sie sich ja auch, darüber zu reden/schreiben.
Vielleicht bringt es uns ja alle näher zusammen …
Vielleicht finden wir Akzeptanz.

Leben, lachen, fröhlich sein – mit der Depression
Dieser Blogeintrag hier wird ganz sicher keine Abhandlung zu einem Thema, dass man im Internet oder in Fachbüchern sehr gut recherchieren kann. Er ist eigentlich mein persönlicher „Befreiungsschlag“. Seht alle her, ich bin depressiv. Ich bin jetzt keine „anonyme Depressive“ mehr. Und dabei habe ich mein Leben fest im Griff, stehe mit beiden Beinen (außer, wenn ich zuviel tagträume ;-)) fest im Leben, habe Familie, trage Verantwortung, singe in einem Chor, kann fröhlich sein.

Mein kleines K. schläft gerade, mein großes P. ist im Kindergarten, ein waschechtes Vorschulkind – und plappert und plappert, wenn er wieder da ist. Ich habe jetzt also etwa anderthalb Stunden Zeit zum Schreiben und Arbeiten (was bei mir glücklicherweise das gleiche bedeutet). Zeit, um einen Artikel für ein Magazin zu beenden und hoffentlich diesen Blogeintrag. Danach muss Mutti an den Herd. Der Nachmittag gehört vollständig den Kindern. Wir wollen Herbstdekoration basteln. Also erst mal raus, Eicheln sammeln, Zierkürbisse besorgen, Laub bestaunen und so.

Ich habe einen wunderbaren „Job“ und viel Freude daran (ich meine jetzt nicht den als freie Journalistin, aber den liebe ich auch). Dennoch bin ich erschöpft. Sehne mich nach einer Auszeit. Natürlich gibt es nichts Schöneres als Kinder zu haben. Ohne Frage, was wäre ich unglücklich ohne meine Jungs! Das Leben wäre längst nicht mehr so bunt. Aber da ist eben auch diese ganz unglaubliche Fremdbestimmung … Jede Mama weiß, wovon ich spreche. Mütter, die das nicht kennen, sind entweder tiefenentspannt, auf Droge (an dieser Stelle bitte einen passenden Smiley einfügen) oder lügen. Das tun sie dann aber auch in anderen Lebenslagen.

Mein Mann  sagt, die Kinder würden nichts – oder zumindest nicht viel – von der Depression mitbekommen. Ich würde das alles prima hinbekommen. Was eigentlich? Mich zusammennehmen? Die Tage durchstehen?

Ich will, dass es aufhört.
Ich fühle mich welkig und allein mit diesem Mist – obwohl ich es natürlich nicht bin. Und fertig geworden mit diesem Post bin ich auch nicht … würde ich nie.
Vielleicht gesellt sich ja zur Depression auch die Midlifecrisis. Die ist ja aber auch nichts anderes als eine Form der blöden Krankheit.
Nachher im Gewusel mit den Kids und draußen in der Herbstsonne wird das bestimmt schon wieder anders sein. Ich werde mich besser fühlen. Dann wird wieder alles ziemlich gut sein. Die Luft, das Kinderlachen, die Farben …
Morgens und jetzt, vormittags, ist es am schlimmsten.
Ich will, dass es aufhört.

Heute habe ich leider kein lustiges  und positives Ende für euch. Leider. Aber vielleicht ja morgen wieder. Außer vielleicht: Wir leben noch. Und können doch einzig darüber schon mal absolut dankbar sein. Ein Sechser im Lotto ist nichts dagegen. 😉

Ich mache mir jetzt aber noch einen Yogitee und hoffe, dass die auf dem Anhängerchen zu lesende Weisheit mir dieses Mal etwas mehr Mut beschert. Sowas wie „Alles wird eben doch so richtig gut“.