Kinder zu etwas zwingen: ja oder nein? Was diese Fragestellung betrifft, so reichen die Meinungen dazu wie wohl zu jedem Thema dieser Welt zum Teil sehr weit auseinander. Ich habe da ein „klares“ Statement: Es gibt auch da kein Richtig und kein Falsch.
Ich zwinge (möglichst) nicht
Die einen meinen: Wenn es unbedingt sein „muss“, ja, dann zwinge ich mein Kind (dies oder jenes zu tun, zum Beispiel Zähne putzen – ein leidiges Thema!). Die anderen wiederum sind strikt dagegen und leben gefühlt totale Antiautorität. Ich selbst halte es so: Ich zwinge möglichst nicht, schließe „Zwang“ aber auch nicht komplett aus. Vielleicht erörtere ich das mal an einigen Beispielen, die mir spontan ins Hirn schießen.
„Die Tracht Prügel hat uns nicht geschadet“
Kennst Du diesen Spruch auch noch? Du selbst hast vielleicht den Gürtel nicht zu spüren bekommen, ganz bestimmt aber noch Deine Eltern. In den Nachkriegsjahren war die „Tracht Prügel“ wohl gang und gäbe („Es hat uns nicht geschadet“), sogar im Schulalltag kam noch der Rohrstock zum Einsatz. „Wer nicht hören will, muss fühlen.“
Mein Papa erzählte mal, wie er von seinem Lehrer Schläge auf die Finger bekam und von seinem eigenen Vater deftige Ohrfeigen. Papa ist der zweitjüngste von vier Söhnen, da ließ Opa die Knaben gern mal wie die Orgelpfeifen in einer Reihe aufstellen. Und dann begann die „Suche“ nach dem Schuldigen …
„Wenn Du nicht sofort …, dann …!“
Für mich ist es heute unvorstellbar, meine Kinder tatsächlich zu schlagen (auch, wenn manchmal schon die Wut in mir hochkocht, Du kennst das vermutlich …). Aber an die folgende Phrase aus meiner Kindheit erinnere ich mich noch genau: „Wenn Du nicht sofort …, dann (setzt es was oder so)!“ Kommt Dir auch noch bekannt vor? Letztlich blieb es nur eine leere Drohung. Es setzte nichts. (Meistens jedenfalls.)
„Wenn Du keine Lust hast, musst Du das nicht tun“ …
Ein Relikt der antiautoritären 1968er, das mir auch nicht so ganz „das Wahre“ zu sein scheint: nichts tun müssen, das man nicht tun will. Denn was passiert mit den Zähnen, wenn sie tagelang nicht geputzt werden? Sie werden irgendwann kariös. Was geschieht mit meinem Kind, wenn es wiederholt die Schule schwänzt? Er wird „die Konsequenzen“ zu spüren bekommen. Zurück bliebe wohl ein heilloses Durcheinander ohne Regeln und Respekt. Das geht also auch nicht, ein „guter Mittelweg“ muss also her …
„Erst die Hausaufgaben, dann das Spiel“
Nehmen wir doch einmal das Beispiel Hausaufgaben: Nach einigen „Ausnahmen“ meinerseits (erst die Freizeit, dann die schulischen „Pflichten“) bemerkten wir alle schnell: Das funktioniert so nicht. Wir sind dann so erschöpft, dass da nichts Vernünftiges mehr zustande kommt. Also ziehe ich jetzt (meistens konsequent) durch: Erst werden die Hausaufgaben gemacht, dann wird gespielt. (Ansonsten finde ich: Schule ist wichtig, aber längst nicht alles im Leben. Manchmal ist da eben auch noch ein Beyblade-Battle oder ein Fußballturnier …)
„Zieh Dich warm an“
Kennst Du das auch noch von früher: „Zieh Deine Jacke an, sonst bleibst Du hier!“? Auch in dieser Hinsicht brachte die Lösung schließlich wieder nur das eigene Erfahren des Kindes: Mein fast Zehnjähriger zog als Eineinhalbjähriger ungern Schuhe an. Als er eines Morgens ohne Winterstiefel losmarschieren wollte, merkte er schnell: „Mama, kalt! Schuhe anziehen.“ Dabei trippelte er auf der Stelle – von einem Füßchen auf das andere. Und so verhält es sich eben auch mit allem anderen – Jacke wie Hose. Erzwingen? Gar nicht nötig, denn wie gesagt: Erfahrung macht den Meister.
„Iss Deinen Teller leer“
Was auf den Tisch kommt, wird gegessen? Kenne ich tatsächlich aus meiner eigenen Kindheit. Es gab (meist) keine „Extrawürste“, aber ich musste nicht essen, was ich partout nicht mochte. Und schon gar nicht aufessen. Wichtig ist mir heute, dass meine Kinder neue Speisen wenigstens probieren. Mit etwas Glück schmeckt ihnen das, was sich da vor ihnen auf dem Teller befindet (meist aber nicht, leider).
„Fahrradhelm auf“
Bisher setzen meine Grundschul-Jungs ihren Helm auf – ohne Wenn und Aber. Hier gab es noch keine „Diskussionen“. Darüber bin ich froh, ahne aber, dass sich das mit zunehmendem Alter ändern könnte und male mir Gegenargumente eines Heranwachsenden aus wie: „Mama, ich passe schon auf, aber ich sehe mit Helm einfach bescheuert aus!“ Mich selbst höre ich leise sagen: „Und falls doch etwas passiert?“ Und höre ihn antworten: „Dann ist das meine eigene Schuld, Mama, nicht Deine.“ Puh …
Es gibt kein Richtig und kein Falsch – oder?
Das Thema „Soll ich mein Kind wirklich zwingen?“ ist meiner Meinung nach schwer zu beantworten, da muss jeder seinen individuellen Weg innerhalb der Familie finden. Ich tendiere zum Nein, doch ausschließen kann ich nicht, dass ich einen meiner Jungs nicht auch mal „zwingen“ werde, etwas zu tun: Als mein Jüngster als Kleinkind nicht die Zähne putzen wollte, schnappte ich ihn mir, kitzelte ihn durch und putzte dabei in Windeseile seine Beißerchen (hinterher war ich völlig platt, das Kind aber wenigstens nicht am Weinen. Nerven gelassen habe ich allemal …) Ist diese, meine Methode nicht auch eine Form des „Zwanges“?
Der „gesunde Mittelweg“
Es gibt kein Richtig oder Falsch, ein Pro und ein Contra hingegen wohl immer. Damit möchte ich nicht sagen, dass es richtig ist, seine Kids zu schlagen oder sie zu etwas zu zwingen, das sie nicht wollen. Ich möchte damit sagen, dass wir Eltern manchmal einfach auch ratlos sind – und voller Fehler wie andere Menschenwesen auch. Und wie sieht er nun aus, der „gesunde Mittelweg“? Keine Ahnung, den müssen wir Eltern mit unseren Kindern zusammen eben individuell herausfinden … und zwar immer wieder aufs Neue.