Dann doch lieber Sardinien

Der Tag beginnt damit, dass ich aus dem Fenster schaue und statt Sonne Schnee sehe. Das fängt ja gut an. Automatisch beginne ich zu frösteln, stehe auf und mache mir einen Tee. Mit meiner Tasse stelle ich mich ans Fenster und sehe dem stürmischen Flockentreiben zu. Winterstimmung. Nur zu Weihnachten ist er nie da, wo man ihn wirklich braucht. Es ist März, und ich will Frühling. Trotzdem genieße ich den An- und Augenblick.

Als ich wenig später aus dem Haus gehe, verstärkt sich der Schneefall. Es ist kalt. Ich drücke meinen Schal enger an meinem Hals und stülpe mir die Handschuhe über. Fast stoße ich mit einem Passanten zusammen. Er hat die Stirn in Falten gelegt und krallt eine Hand um die offene Stelle seines Kragens. Da er es war, der beinahe in mich hineingerannt wäre, lächelt er nett. ‚Entschuldigung‘ brubbelt er recht leise. Dann hastet er weiter. Er ist nicht der einzige, der es eilig hat: Besonders viele Leute sind heute auf den Bürgersteigen unterwegs. In ziemlicher Windschiefe schleppen sie sich in Richtung S-Bahnhof. Ich ordne mich in den Menschenstrom ein. Da muss ich auch hin.

Auf der Straße sieht es nicht anders aus: Unmengen von Autos sind unterwegs. Der Verkehr ist zähflüssig. Einige Fußgänger schlängeln sich durch die Wagen hindurch, um auf die andere Seite der Straße zu gelangen. Ab und zu hört man ein aufgeregtes Hupen. Kein guter Tag, um mit dem Pkw unterwegs zu sein. Ein Fahrer reckt seinen Kopf aus dem Fenster und brüllt seinem Vordermann zu: „Fahr zu, Du Idiot!“.

Seit heute Morgen streikt ein Teil des Berliner Nahverkehrs zehn Tage lang. Deshalb nutze auch ich nicht die Tram, sondern die Stadtbahn. Auf dem Zugzielanzeiger im S-Bahnhof ist zu lesen, dass aufgrund der aktuellen Situation der Verkehr unregelmäßig rollt. Fahrgäste werden gebeten, „die Lautsprecherdurchsagen zu beachten“.

Morcheeba inspiriert meine Gedankengänge. Ich habe keine Lust, die Musik verstummen zu lassen. Die Alternative ist, nicht ausreichend informiert zu sein. Also werde ich anhand von Mimik und Gestik der anderen Wartenden erraten, was passiert.

Und tatsächlich: Die herumstehende Masse bewegt sich. Und macht ein paar Schritte in Richtung Bahnsteig, den Blick verheißungsvoll nach rechts geneigt. Auch ich sehe in diese Richtung.

Der Zug fährt ein. Na, klappt doch, freue ich mich. Doch zu früh gefreut: Die S-Bahn ist brechend voll. Menschen sitzen oder stehen darin aneinander gereiht wie Sardinen in einer Büchse. Dann doch lieber ein Urlaub auf Sardinien: Sonne, Meer, wenig Mensch auf viel Quadratmeter. Ich denke an einen Mann und eine Frau, die auf Pferden sitzend dem Horizont entgegen reiten. Sie halten sich bei den Händen. Die Sonne geht unter. Es ist warm… Ich hätte jetzt gerne drei Wochen frei. Urlaub. Möglichst weit weg von hier. Ein lauter Seufzer entgleitet mir. Eine Frau um die 70 lächelt mich an. Sie hat vielleicht zu viel freie Zeit. Ich lächele zurück.

Die Bahn kommt zum Stehen. Ich quetsche mich hinein, kurz darauf schließen die Türen. Ich schaue durch die Scheibe nach draußen und sehe in die Augen eines verärgerten Geschäftsmannes. Er streckt verständnislos seine Arme zur Seite ab und lässt sie dann resigniert wieder an seinen Körper prallen. Auch kein guter Start in den Tag für ihn.
Immerhin hat es aufgehört zu schneien.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert