Jägerschaft und Polizei warnen Autofahrer vor Wildwechsel
Essen (Oldb.)/Bersenbrück. Braune Kulleraugen, lange Beine und ein weiches Fell: Der kleine Rehbock Heinrich ist gesund und munter, er hat Glück gehabt. Seine Mutter hat es leider nicht geschafft: Vor etwa vierzehn Tagen erfasste ein Auto die Ricke, sie starb. Ihr Junges machte mit Klagerufen aus dem Wald auf sich aufmerksam. Inzwischen hat der mittlerweile drei Wochen alte Heinrich ein neues, schönes Zuhause gefunden: Die Familie Göttke aus Osteressen kümmert sich liebevoll um ihn. Er entwickelt sich prächtig, und das liegt sicher nicht nur an der nahrhaften Lämmermilch: Der kleine Bock hat viel Bewegung, die Kinder der Familie spielen gern und oft mit ihm.
„Als wir gefragt wurden, ob wir uns um das Kleine kümmern möchten, haben wir nicht lange gezögert“, sagt Ziehmama Agnes Göttke. Sie weiß aus Erfahrung, wie schwer es ist, ein Kitz großzuziehen. Schon einmal hat sie sich fünf Jahre lang um ein Reh gekümmert. „Man muss aufpassen, dass es sich keine Magenverstimmung oder Durchfall holt. Die Milch muss deshalb zwischen 35 und 40 Grad warm sein“. Im Wechsel mit ihrer Schwiegertochter Margaretha kümmert sich die sympathische Frau um Heinrich – sogar nachts: „Fünfmal am Tag, alle viereinhalb Stunden kriegt er etwas zu essen“, erzählt Agnes Göttke. Ein 24-Stunden-Job: „Mir macht das Spaß“, sagt die vierfache Mutter.
Heinrich in seinem Gehege
Mit anderen Rehkitzen meint es das Schicksal leider nicht so gut. „Im Frühling kommen sehr viele Jungtiere auf die Welt. Verunglückt das Muttertier, haben die Kitze keine Überlebenschance“, weiß Uwe Duchow, Obmann für Öffentlichkeitsarbeit bei der Kreisjägerschaft Bersenbrück.
Vom 1. April bis zum 13. Mai 2011 sei es zu 183 gemeldeten Wildunfällen gekommen, so die Polizei Quakenbrück. Die Dunkelziffer sei wohl deutlich höher.
Was kann man tun, damit es nicht zu solchen Unfällen kommt? Grundsätzlich gilt: Autofahrer müssen immer und überall in der Region mit plötzlichem Wildwechsel rechnen.
„Im Frühling sollte man vor allem am Abend und am Morgen vorausschauend fahren und die Warnschilder beachten, denn zu diesen Tageszeiten passieren die meisten Unfälle“, mahnt Uwe Duchow. Doch auch tagsüber kann es zu Wildwechseln kommen, vor allem im Juli und August. Dann nämlich ist Paarungszeit. „Die Rehe springen unkontrolliert umher, hier ist besondere Vorsicht geboten“. Erste und wichtigste Maßnahme: „Runter vom Gas und Aufblendlicht vermeiden“. Das beeinflusse die Tiere massiv, betont Uwe Duchow und erklärt, dass es wichtig sei, auch die Hupe zu benutzen. Lässt sich ein Aufprall nicht mehr vermeiden, „auf keinen Fall das Lenkrad verreißen. Man muss auf das Tier zusteuern.“ Ihm gefalle das auch nicht, sagt Uwe Duchow, aber es nütze eben alles nichts: „Ansonsten besteht Lebensgefahr.“
Und was, wenn der Unfall doch passiert ist? Eine Kurzeinweisung in drei Schritten: Warnblinkanlage einschalten, Warnweste anlegen und die Unfallstelle mit einem Pannendreieck absichern. Und weiter: Behindert das verletzte oder tote Wild den Verkehr, muss es von der Fahrbahn genommen werden. Mitnehmen darf man das Tier aber nicht. Wer es dennoch macht, riskiert eine Anzeige wegen Wilderei. Danach sollte man die Polizei und die örtliche Jägerschaft anrufen. Ist kein Telefon zur Hand, darf sich der Fahrer ausnahmsweise vom Unfallort entfernen und Hilfe holen – anders als bei anderen Unfällen, wo das als Fahrerflucht gilt.
In einigen Teilen des Altkreises Bersenbrück sind inzwischen so genannte Wildwarnreflektoren im Einsatz. Sie werden an den Leitpfosten angebracht. Die Funktionsweise: Das an den Reflektoren zurückgestrahlte Scheinwerferlicht der Autos bildet eine Art Lichtzaun, der das Wild abschreckt. „Die Farbe Blau nehmen Rehe am besten wahr, sie bleiben stehen und überqueren die Straße erst, wenn das Licht erloschen ist”, erklärt Uwe Duchow. Eine Maßnahme mit Erfolg: Statt bisher acht Unfällen im Jahr gebe es jetzt nur noch drei bis vier. „Hier muss man noch viel großflächiger arbeiten und mehr Reflektoren anbringen oder bei der Herstellung der Leitpfosten gleich Wildwarnreflektoren anbauen.“
Heinrich – von den Göttkes liebevoll „Hennek“ genannt – springt in seinem Gehege herum. Die Familie hat es eigens für ihn gefertigt. „Er ist wohl über den Berg“, sagt Agnes Göttke mit einem Lächeln. Plötzlich schaut die Frau mit den wachen Augen ernst. „Man muss den Leuten unbedingt klar machen, dass sie vorsichtiger fahren müssen, damit nicht wieder ein Kitz seine Mutter verliert.“ Und dann wird es auch schon wieder Zeit für Henneks Lämmermilch-Fläschchen.
(c) Erschienen am 27.05.2011 im Bersenbrücker Kreisblatt
Liebe Coralita,
sehr berührend, danke dir! Gerade geistern viele Gedanken durch meinen Kopf… auch wegen dem Dachs, den ich am WE getroffen habe und der noch sehr jung wirkte… ob auch er seine Mama verloren hat? Und was tut man dann? Schließlich sind es ja Wildtiere und müssen auf die Wildnis vorbereitet werden!?
Liebe Grüße zu dir,
Elisabeth
Hola!
Morgen gibts zartes Reh an Spargelspitzen und Mairübchen.
Mmmmmh! Feinste Schlemmerkost. ;-D
Übrigens schreib ich ab Juni für die Chicago Tribune.
Freiberuflich – 250.000 Dollar Jahresgage.
Ätsch!!! ;-))
Grüße aus der Südprovinz!
Solche Berichte müssten viel mehr erscheinen. Leider mache ich täglich die Erfahrung, dass die wenigsten Autofahrer auf entsprechende Schilder reagieren.
Danke für deinen Bericht, den hoffentlich viele lesen.
Liebe Grüße
Anna-Lena
Liebe Brigitta,
danke für Deine Zeilen.
Ja, genau diese Wirkung erhoffe ich mir mit der Re(h)portage. 🙂
Drücken wir die Daumen!
Herzlich,
Coralita
Dein feinfühliger, journalistischer Bericht ist interessant, engagiert und lehrreich zugleich!
Möge er viele AutofahrerInnen sensibilisieren für diese Problematik!
Liebe Grüsse,
Brigitte