… endete – zumindest für dieses Jahr – im Berliner Friedrichstadtpalast eine Revue von Thomas Münstermann mit dem schlichten und dennoch nicht wenig klangvollen Namen Rhythmus Berlin. Es handelte sich sozusagen um die „Saisonderniere“.
(Mein ehemaliger Professor würde mich jetzt, hätte er diesen Begriff statt meiner gebraucht, verschmitzt lächelnd anschauen und eigentlich mehr sich selbst als mich fragen: „Habe ich hier etwa einen neuen Terminus kreiert?“ Ein Jahr nach meinem Abschluss stelle ich gerade fest, dass er mir tatsächlich ein bisschen fehlt.)
Eine Saisonderniere also, die ich mir nicht entgehen ließ.
Rhythmus Berlin, am 2. März 2007 erstmals aufgeführt, erinnerte mich stark an die Revue Glanzlichter, die im September letztmalig lief. Wieder mit von der Partie – und inzwischen aus Revuen auch nicht mehr wegzudenken – war die berühmte Girlreihe mit noch immer 32 hübschen Mädchen, ihren 64 mehr oder weniger langen Beinen, bunten, kurzen und natürlich hauteng anliegenden Kostümchen – die kleineren Frauen außen, die größeren in der Mitte. Faszination präponierter Applaus: Kaum hatte die Gruppe die Bühne betreten, brach auch schon ein tosender Applaus los, der sich – angesichts soviel geballter weiblicher Attraktivität – mit anerkennenden Pfiffen und bewunderndem Raunen mischte.
Auch das Todesrad mit den Brüdern Ray und Rudy Navas-Velez und ein paar andere Akrobatikeinlagen wurden wieder varieteartig in die Show integriert, doch das Hauptaugenmerk lag auf den Rhythmen – oder präziser: auf einem Rhythmus, der sich aus den verschiedenen facettenreichen Großstadtrhythmen zu einem gewaltigen, explosiven Rhythmus zusammenfassen lässt. Ich vermute, diese Beschreibung liegt in der Intention der Macher. Schade, denn hier hatte ich doch tatsächlich mehr Rhythmus als Performance erwartet.
Wie bei Glanzlichter wurden Effekte, Musik, Tanz und Gesang mit einer jungen „Liebesuchgeschichte“ (erneute – und diesmal weniger indirekte – Grüße an Sie, verehrter Prof. Stein!) verbunden.
Zwei junge Menschen (Besetzung: Nathalie Tineo und Fabrizio Levita), zwei einsame Herzen, begegnen sich während einer Spätvorstellung im Kino, ihre Blicke treffen sich, die Liebe trifft sie wie der Schlag. Doch sie trauen sich nicht, sich aufeinander zuzubewegen. Nach der Vorstellung gehen sie zögernd auseinander. So schnell, wie sie sich begegnet sind, verlieren sie einander auch aus den Augen. Fortan ziehen sie wie in Trance durch die Metropole.
Er – ein attraktiver und erfolgreicher Fotograf, sie – ein schöner und renommierter Star, und doch sind sie beide erfüllt von einer unbestimmten Sehnsucht, die für sie der Start einer – wenn auch nur in Ansätzen erahnten – Bewahrheitung ihrer Träume bedeutet. Auf ihrer Suche nach einander lernen sie außergewöhnliche Charaktere auf Bahnhöfen, in Clubs, Parkanlagen und auf Straßen kennen, doch die gewünschte Begegnung in dem ewig geschäftigen Treiben Berlins bleibt aus. Vorerst…
Für das Genießen dieser Revue ist es nicht notwendig zu erfahren, ob die beiden jungen Menschen zueinander finden werden: Rhythmus Berlin ist nicht nur eine Liebeserklärung eines Mannes an eine Frau und umgekehrt, sondern vielmehr an die einzigartige, „große, neue, alte Stadt Berlin“.
Nicht zuletzt spielt hier die Zeit eine wesentliche Rolle. Immer wieder rückt sie in den Vordergrund des Interesses, wird in Akrobatik-, Tanz- und Gesangsnummern thematisiert – als wesentliches Element der Darstellung der niemals ruhenden, immer hektischen Metropole Berlin.
In der Pause hatte ich kurz das Gefühl, ein ungefähres Déjà-vu zu Glanzlichter, ja wenn nicht sogar ein Déjà-entendu zu erleben. Ein aufwändiges Bühnenbild jagt das nächste, eine beeindruckende Illumination folgt gleich auf eine andere. Für mich war die ganze Show eine geballte Reizüberflutung, doch deshalb keinesfalls sinnlose Effekthascherei. Ästhetisch ohne Frage, doch hätte eine dezentere und gezielter Einsetzung eine weitaus höhere Wirkung auf mich erzielen können.
Dennoch ist die Revue ein Spektakel für Augen, Ohren und Gefühl: Grandios war eine Einlage mit einem kelchartigen Wasserbecken, das gerade zwei Leuten Platz zum darin sitzen bot. Das transparente und bis zum letzten Viertel mit Wasser aufgefüllte Becken war einige Meter unterhalb der Decke mit drei Ketten fixiert. Zwei Künstler boten hierin eine atemberaubend schöne, teilsynchrone und zu Tränen rührende „Liebestaumeltanzperformance“ zu träumerischer Musik dar.
Faszination Friedrichstadtpalast: Einst eine Markthalle, hat er sich inzwischen zu einem wahren „Marktplatz der Sensationen“ entwickelt. Und nicht nur Professor Stein, sondern ganz bestimmt auch Egon-Erwin Kisch, wären jetzt sehr stolz auf mich.