In Gedanken bin ich heute ganz bei Dir. Du hast Geburtstag. Dieses Jahr ist es bereits der 93. Ein stolzes Alter, das Du erreicht hättest, würdest Du noch leben. Du hast immer einen Tag nach mir Deinen Ehrentag gefeiert. Unsere Geburtstage standen immer in Verbindung: Erst Kuchen essen bei uns, einen Tag später Kaffee trinken bei euch. Warum Menschen ihren eigenen Geburtstag feiern und nicht den der Mutter, die sie zur Welt gebracht hat, habe ich schon als kleines Mädchen nie begriffen.
Wie dem auch sei: Wenn Du zu Besuch kamst, hast Du immer eine kleine braune Ledertasche dabei gehabt, in der sich eine Tafel Schokolade für jede Deiner drei Enkelinnen befand. Du hast an der Tür geklingelt, und ich war dann die erste, die die Treppe herunterstürmte, um Dich zu umarmen. Ich wurde schon hellhörig, wenn ich nur das Brummen Deines VW Fox hörte. Nicht, dass es mir so sehr um die Schokolade gegangen wäre, vielmehr habe ich mich auf Deinen Altherrengeruch und Deine Umarmung gefreut, auf Dein fröhliches Lächeln und Dein schelmisches „Na, Anja?“.
Seit Du nicht mehr bei uns bist, hat sich einiges verändert. Ich denke sehr oft an Dich, erinnere mich an Nachmittage in unserem Garten zurück. Dort gab es alles, was sowohl der Magen als auch die Augen begehrten. Ein ganzes Alphabet voller Köstlichkeiten – von A wie Apfelbäume über S wie Stachelbeeren bis hin zu Z wie Zwiebeln. Wir haben im Sommer schwarze und rote Johannisbeeren gepflückt oder Erdbeeren genascht und dabei stundenlang geredet.
Unser Gesprächsthema war oft der Krieg. Am meisten hast Du mir von Deiner Gefangenschaft in San Franzisco erzählt. Das war eine harte Zeit für Dich. Du hast mir aber auch oft von glücklichen Tagen berichtet und von Papa, als er ein kleiner Junge war. Und von seinen Brüdern. Auch von Oma hast Du geschwärmt, wie hübsch sie war. Sie ist acht Jahre vor Dir gestorben, und das hat Dich immer trauriger werden lassen. Du hast sie vermisst, Dich oft allein gefühlt. Einsam warst Du aber nie. Selbst in Deiner letzten Stunde hattest Du geliebte Menschen an Deiner Seite: Papa und mich.
Es ist jetzt über zehn Jahre her, dass wir Dich verloren haben. Doch nach wie vor ist der 14. Dezember Dein Geburtstag. Er wird es immer für mich sein. Solange ich lebe, werde ich ihn jedes Jahr in meinen Kalender eintragen – ganz so, wie ist es bisher getan habe. Alles Gute, Opa.
*seufz* ;(