Bitte machen Sie es sich doch bequem, bis Sie aufgerufen werden!

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„Moooment mal, junger Mann! Sie woll’n doch nich etwa ooch noch hier rinn?!“Der Service-Mitarbeiter der BVG ist klein und untersetzt. Und er hat ein äußerst unsympathisches Gesicht. Auf jeden Fall ist er gestresst. Liegt wohl an der momentanen Nahverkehrssituation hier in Berlin: Die S-Bahnen verkehren unregelmäßig, zu wenige Züge sind im Einsatz. „Sie seh’n doch, dass hier allet voll is!“ Der BVG-Mann funkelt den ahnungslosen Jüngling mit dem Fahrrad draußen vor der Waggontür vom Gang aus mit hochrotem Kopf an. Ich staune. So klein wie der Kerl ist, so laut kann er auch schreien: sehr.
Der große Blonde mit dem Drahtesel kratzt sich verlegen an der Wange und sieht verunsichert aus. „Hier sind schon Räder drin. Sie passen hier nicht auch noch rein! Fahren Sie mit Ihrem Rad!“, schnaut der BVG-Mitarbeiter weiter. Ich spüre Wut in mir aufsteigen. Nun ist es ja auch mal wieder gut. Der Junge wendet sich mitsamt seinem Rad kopfschüttelnd und verlegen grinsend zum Gehen ab. Ruhe. Zumindest vorerst.
„Unmöglich“, sagt der BVG-Mann eine halbe Minute später zu seinem Kollegen. „Bei dieset schöne Wetta will der mit sein Rad hier rin. Wozu hat’n der eens. Der is jung, der kann doch ooch ma seine Muskeln benutzen.“ Der Kollege schaut verlegen drein. Der andere ist ihm sichtbar peinlich. Ich möchte etwas sagen, doch jetzt herrscht Ruhe. Vorerst.
Wir erreichen den Bahnhof Gesundbrunnen. Bisher war eine ganze Weile Ausstieg in Fahrtrichtung links, jetzt ist rechts dran. Ich stehe in der mittleren Tür auf der anderen Seite. Mist. Ich ahne Schreckliches, als die Bahn hält und ich versuche, mich so schmal wie möglich zu machen, um die Reisenden aussteigen zu lassen. Ich dränge mich an die Glaswand an der Seite der Bahntür. Die Passagiere quetschen sich an mir vorbei, ziehen Schultern und Bauch ein. Ich kann nicht aussteigen, denn ehe ich wieder im Zug sein werde, wird dieser hoffnungslos überfüllt sein und mir keinen auch noch so winzigen Platz bieten.
„Junge Frau!“ schreit es aus dem Gang. Ich hab’s geahnt. Seufzen meinerseits. Redet er alle mit „junger Mann“ oder „junge Frau“ an? Auch 99-Jährige? Ja, ganz bestimmt tut er das. Er ist der Typ dazu. Ich grübele darüber nach, warum er wohl so unzufrieden sein mag … Jetzt ist er auf einmal ganz in meiner Nähe – neben mir. Genau mir gegenüber! „Sie seh’n doch, dass die anderen aussteigen woll’n!“, seine Stimmbänder vibrieren wütend, seine Augen ein einziges Funkeln. Ich schaue an ihm herab und lächele. Ein kurzes, kaum merkliches Zusammenziehen der Augenbrauen. „Müssen Se hier jenau im Weg steh’n?!“ Mir platzt beinahe der Kragen, doch ich kann meinen Unmut im Zaum halten. Ich lächele weiter und atme langsam in den Bauch, dann wieder aus. Das soll ja helfen.
Das Atmen hilft nicht: Noch während er aus der Tür geht und bereits auf die Treppe zusteuert – den humpelnden Kollegen im Schlepptau – reißt die Lautstärke in seiner Stimme nicht ab. Was er sagt, ist wirklich nicht freundlich. MIr reichts. In drei langgezogenen, einzeln betonten Silben brülle ich ihm hinterher: „FREUND-LI-CHER!?“ Doch murmelt steigt er die Stufen der Treppe hinab.
Dreharbeiten führten mich kürzlich nach Storkow in der Mark Brandenburg. Die Stadt, die in diesem Jahr ihr 800-jähriges Jubiläum gefeiert hat, ist bekannt für ihre Störche. Warum das? Naja, im Grunde ist das ganz einfach. Das Wort „Storkow“ stammt von dem langbeinigen Tier ab. Das hört man doch schon, finde ich. Unverkennbar: Stork => Storch! Und dann gibt es da noch die leckeren Storck RIESEN. Wieder ein Beweis, dass diese Theorie nur stimmen kann!
Deswegen nun ist also der Storch auch das unüberwindbare Wahrzeichen der Stadt. Zumindest habe ich geglaubt, das würde so stimmen – Sprachwissenschaftlerin, wie ich eine bin. Doch ich habe mich eines Besseren belehren lassen: Storkow hat slawischen Urpsung und geht auf das Wort Sturkuowe zurück. Dieses bedeutet „Weg durch den Sumpf“. Oh, Sümpfe kann man da schon auch erahnen. Aber – ach, wie langweilig! Da bleibe ich doch lieber dem Storchenglauben verhaftet. Klingt in meinen Ohren weitaus spannender.

Einkaufen im Supermarkt. Für das Abendessen möchte ich eines meiner Leibgerichte zubereiten: Spaghetti Bolognese. Beim Kochen italienische Musik hören und ein Glas vollmundigen Rotweins trinken: eine tolle Vorstellung. Ich streife mit eiligen Schritten durch die verschiedenen Regale und suche zusammen, was zusammengehört. Aus dem Kühlregal greife ich schnell noch etwas Parmigiano, dann gehe ich hinüber zur Weinabteilung und wähle einen 2007er Merlot – hervorragend geeignet für Hackfleisch-Tomaten-Sauce. Ich freue mich darauf.
Mein Korb ist voll. Ich lege die Flasche oben auf und mache mich auf den Weg zur Kasse. Nichts wie nach Hause! Doch da passiert es: Die Flasche gleitet aus dem Korb. Es folgt ein lautes Klirren. Der schmackhafte, vergorene Rebensaft ergießt sich auf den weißen Bodenfliesen. Die Leute schauen in meine Richtung. Meine Gesichtsfarbe nimmt wohl gerade den Ton von reifen italienischen Tomaten an.
Ich schaue, ob jemand schaut. Ein junger Kerl um die 30 mit langen Haaren und einem Basecap auf dem Kopf bahnt sich seinen Weg an mir vorbei. Er sieht mitgenommen aus. Wahrscheinlich eine lange Nacht. „Boah, cool – jetzt bin ich wach“, sagt er und schaut auf die Scherben am Boden. Ich schmunzele und erwidere nur, dass es mir genauso geht. Adrenalin ist eben doch der beste Wecker.
Eine Mitarbeiterin, die das Geschehen beobachtet hat, blickt grimmig drein. Ich sehe ihre Mundwinkel entgleiten: Sie rutschen so tief nach unten, dass es mir beinahe unheimlich wird und ich beginne, mir Sorgen zu machen. Verlegen entschuldige ich mich. Doch die genervte Frau stapft wortlos an mir vorbei. Das finde ich nun unhöflich, denn ich habe die Weinflasche schließlich nicht absichtlich fallen lassen.
Ich frage mich, wieviele Kunden wohl täglich etwas Zerbrechliches fallenlassen, das sie anschließend wegwischen und beiseite kehren muss. Auf mein „Soll ich helfen?“ kommt nur ein „Neeee, lassen Se ma!“ zurück. Wirklich sehr nett. Ich stehe da, wie bestellt und nicht abgeholt und frage mich, ob es unhöflich ist, wegzugehen und meinen Einkauf fortzusetzen. Doch irgendwie bewege ich mich nicht von der Stelle.
Dann, die Rettung: Eine andere Mitarbeiterin kommt auf mich zu. Sie ist sehr groß, rundlich und trägt einen frechen Kurzhaarschnitt. Oft schon hat sie mich abkassiert. „Kann ja mal passieren. Schnappen Sie sich einfach eine neue Flasche.“ Na, warum denn nicht gleich so. Entscheidung abgenommen: Etwas erleichtert schlendere ich zur Kasse und bereite mich seelisch und moralisch auf mein leckeres Abendessen vor. Im Wein liegt Wahrheit – denke ich – und manchmal auch das Wesen eines Menschen.