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Zum ersten Mal allein auf Klassenfahrt – und alle drehen durch

Mein fast Neunjähriger fährt zum ersten Mal für drei Tage mit der Klasse weg. Es geht zur Thülsfelder Talsperre. Vor allem die Mamas in meinem Umfeld machen sich total verrückt, während ich mich eher frage: Bin ich eine schlechte Mutter, weil ich mir fast keine Sorgen oder zumindest Gedanken mache und darauf vertraue, dass die Lehrerinnen das alles schon deichseln werden?“

„Der Abschied wird ihm so schwerfallen, das weiß ich jetzt schon!“ – „Was, wenn sie abends weint und nach Hause will?“ – „Ob er sich ernsthaft verletzen wird? Er ist doch so ein wilder Strick!“ – „Und was, wenn sie nicht einschlafen kann?“
Schon im Vorfeld zur Klassenfahrt machen sich die Muttis der Kinder aus den Klassen 3a und 3c mit derartigen Fragen völlig fertig. Und sie tun mir auch ein bisschen Leid, denn immerhin reden wir hier von der allerersten Klassenfahrt im Leben unserer um die neunjährigen Schützlinge. Und während die Frauen so klagen und bangen, stehe ich etwas eingeschüchtert daneben und frage mich ernsthaft, ob mit mir etwas nicht stimmt, weil ich mir keine Sorgen machen.

Giraffenaffen und Gespräche
Beim Packen drehen P. und ich die „Giraffenaffen“ lauter und legen – oder werfen – in den Koffer, was er so alles braucht: Klamotten für drei Tage (und einmal Ersatz, ihr wisst schon), Handtücher, Waschlappen und Seife, Zahnbürste und -creme, Badehose und -kappe (er hat langes Haar), Buch und so weiter und so fort. Wir haben ziemlich gute Laune. Und doch merke ich, dass er selbst sich natürlich sehr mit dem Thema „ich allein auf weiter Fahrt“ auseinandersetzt. „Mama, ich habe ein bisschen Angst …“ Klar hast Du das, hatte ich auch … „Davor, dass ich nach Hause möchte.“ Verstehe ich und schnappe mir den kleinen Kerl für ein aufheiterndes Gespräch mit gedanklichen Lösungsansätzen für seine Befürchtungen. Und weil seine Mutter eine fürchterliche „Übertreiberin“ ist, beginnt er schon wieder zu kichern.

Planschen, Pups und … Periode
Wie stolz er hinterher sein wird, dass er das geschafft hat! Das denke ich nicht nur, sondern spreche es laut vor meinem Söhnchen aus. Weil ich noch genau weiß, wie es sich anfühlt. Und ich denke zurück an meine allererste Klassenfahrt mit neun Jahren nach Prerow. Fischland Darß, wie wunderschön das war, wie aufregend … Ich erzähle meinem kleinen, doch schon ziemlich großen Jungen, was wir Kinder dort alles erlebten: wie wir im Meer schwammen, am Lagerfeuer saßen, Würstchen und Kartoffeln grillten, wie wir abends im Bett über unsere Pupse lachten. Ja sogar, wie ein fast zehnjähriges Mädchen während des Aufenthalts zum ersten Mal ihre Periode bekam … P. staunt. Er bekommt schon lange mit, dass seine Mama dann und wann blutet. Aber dass das schon so jungen Mädchen passieren kann, ist neu für ihn, und er bleibt etwas an dem Thema kleben. Er fragt interessiert, ich antworte geduldig. Dieses Gespräch dort auf seinem Kinderzimmerfußboden werde ich nie vergessen. Und auch nicht die Dankbarkeit, die ich in diesem Augenblick fühlte: Ich habe als „Jungsmama“ die ziemlich einmalige Chance, meinen beiden Bengelchen „die Welt der Frauen und Mädchen“ zu erklären – und dabei aufzuräumen: mit vielen blöden Klischees und Halbwahrheiten bis Dummheiten, die über das weibliche Wesen kursieren.

Es geht los!
Am Tag der Abreise ist P. ganz hibbelig. Verständlich, denn gleich geht es los! Ich bringe ihn überpünktlich zum Busbahnhof der Schule. Wir schauen zu, wie die Kinder nach und nach eintrudeln und dann auch die Klassenlehrerin. Sie nimmt wichtige Dokumente entgegen und prüft, wer schon anwesend ist. P. gibt mir einen Kuss und rennt mit den anderen Kids auf den Pausenhof. Einfach so. Ganz einfach. Okay, jetzt wird mir doch ein bisschen seltsam ums Herz. Ich schaue ihm noch eine Weile nach, mache einmal laut „hm“ und gehe gedankenversunken nach Hause …
Einen Tag später berichtet die Klassenlehrerin per E-Mail von einem kleinen (nicht wilden) Vorkommnis und schickt uns Eltern ein Foto: Darauf planschen planschen die Kids vergnügt in flachem Gewässer. Ich seufze und freue mich auf P.s ausführlichen Bericht (in dem es später um die Übernachtungen mit stundenlangen Gequatsche, das Baden im See und – ja – auch ein bisschen Heimweh gehen wird.)

Ein alter Tagebucheintrag

17. April 2008

(Auszug/Übertragung aus dem handschriftich verfassten Tagebuch)

Mein Flieger nach New York hat eine Stunde Verspätung. Ich ärgere mich etwas, eigentlich völlig unnötig: Ich werde den Anschlussflug locker schaffen. Es war ein guter, sanfter Langstreckenflug, jetzt Landung. Ich bin allein unterwegs, fühle mich frei und starte in ein neues Abenteuer.

13:25 Uhr. Passkontrolle. Der Zoll ist ein Erlebnis für sich. Auf Nummer sicher eben, und das ist gut so nach 2001. Die Menschen am Airport sind unfreundlich und lassen einen dauernd ihre Genervtheit spüren. Ich mache mich auf die Suche nach Bier.

In der Flughafenkneipe „Brow“ trinke ich ein Amstel Light. Horrende 7,22 Dollar! Ich nehme trotzdem gleich zwei, kassiere abschätzende Blicke vom „Wirt“ (mir doch egal) und spaziere ein bisschen umher (so einige Kilometerchen … Ein Riesenflughafen ist das hier!).

Hier gibt es fast alles: Fressbuden, Klamottengeschäfte, Schreibwarenlädensogar „Shoe shine“. Zwei dunkelhäutige Menschen, ein Junge und ein Erwachsener putzen einem weißem Geschäftsmann und einem weiteren Dunkelhäutigen die Schuhe. Es mutet seltsam an.

Anna-M. und ich in Denver

Die Amis gehen mir schon jetzt auf den Keks. Ein paar Männer grölen. Und sprechen respektlos (lästern!) über den fetten Hintern einer Frau. (Ich schaue ihn mir genauer an: Weiblich und rund ist er allenfalls, aber nicht fett. Arschlöcher …) Das Amstel Light hingegen schmeckt jetzt doch ganz lecker, ist aber nichts im Vergleich zu einem kühlen Blonden zu Hause.

Vor mir steht plötzlich ein schöner, dekorativer Oldtimer, der mit dem Vogel vorn auf der Motorhaube. Sein Dach ist total verstaubt. Niemand kümmert sich darum.

Das zweite Bier neigt sich dem Ende zu. Nach acht Stunden Flug, anstrengendem Arrival und dem Gelatsche über den Flughafen habe ich beide Flaschen in nur wenigen Zügen geleert. Na, es sind ja auch nur jeweils 0,33 Liter, glaube ich. (Es steht keine Mengenangabe auf den Flaschen.)

Spiegelung in der Sonnenbrille meiner Schwester

Geschafft. Sitze jetzt im Wartesaal. Neben mir eine junge Familie mit Baby. Die Frau schaut es liebevoll bis fasziniert an. Sie sieht – bei allem – müde aus. Wie es wohl ist, Kinder zu haben?

Noch anderthalb Stunden bis zum Flug, danach noch einmal knapp viereinhalb Stunden, dann sehe ich meine kleine Schwester wieder. In Denver/Colorado. Sie hat sich bestimmt nicht großartig verändert, aber zehn Monate sind doch schon eine Zeit im Leben eines 19-jährigen Menschen. (Und irgendwie auch für eine 28-Jährige wie mich.)

Typisch.

Gerade kommt die Durchsage „I need two additional volonteers“. Hotelübernachtung, Diner sind der „Gewinn“, wenn man erst morgen fliegt. Was genau sich dahinter verbirgt, weiß ich noch nicht, werde es aber schon noch herausfinden.

Punkt, Punkt, Punkt.

Ein kurzes Date

„Sehe ich denn wirklich überhaupt gar nicht so aus wie auf dem Foto hier?“ Die Frau ist sichtlich verzweifelt. Sie zittert, gleich wird sie das Weinen beginnen. Ich sehe es deutlich …

Es ist ein ziemlich stürmischer Frühlingssonntagnachmittag, wir vier sind zum Familienspazierengang und Windumdieohrenblasenlassen an die Nordsee gefahren.
Als wir einparken und ich gerade die Jungs aus dem Wagen lasse, um sie anzuziehen, hält in der Lücke neben uns eine Frau in etwa meinem Alter. Sie sieht fröhlich aus, nickt mir freundlich und lächelnd zu, ihre Bewegungen sind äußerst beschwingt. Dann ist sie auch schon verschwunden. Ich denke: Die ist gut drauf, schön. Und muss selbst grinsen.

Als unsere Bengelchen ihre Jacken, Mützen und Schals anhaben, ist die Frau wieder da …

Jetzt steht sie völlig aufgelöst neben mir und hält mir auf ihrem Handy das Bild von sich hin: Das Portrait einer Frau bis zu den Schultern. Ich vergleiche. Doch, ja, es sieht definitiv aus wie die kleine, etwas rundliche Frau mit dem hübschen Gesicht und den langen, blonden Haaren.

Was ist denn passiert, das sie derartig durcheinander brachte?
„Das war das kürzeste Date meines Lebens“, erzählt sie achselzuckend. „Ich war hier mit einem Online-Kontakt verabredet.“ Sie dreht sich weg, zeigt auf einen Mann, der gerade in seinen tiefergelegten BMW steigt. Dunkle Haare, nicht sehr groß (und nicht gerade attraktiv … aber das ist ja nun Geschmackssache).

Die Frau berichtet weiter. „Er hat mich von oben bis unten gemustert und mir dann direkt ins Gesicht gesagt, ich wäre nicht sein Typ und das Foto, das ich ihm über den Chat gesendet hätte, würde jemanden ganz anderes zeigen als mich.“ Jetzt weint sie tatsächlich ein bisschen. „Dabei bin ich über eine Stunde hergefahren, heute ist mein kinderfreier Tag. Den hätte ich auch anders nutzen können …“ Ich verstehe sie.

Ich kann nur zuhören, ihr über den Arm streichen. Und dann sagen: „Betrachten Sie es als natürliche Selektion. Unter uns: Der Typ ist ziemlich hässlich und hat Sie gar nicht verdient.“ Ich zwinkere ihr verschwörerisch zu. Ich bitte sie noch, vorsichtig zu fahren, als sie in ihr Auto steigt. Und dann ist sie auch schon wieder verschwunden, nur eben leider nicht mehr beschwingt.