In vino veritas
Einkaufen im Supermarkt. Für das Abendessen möchte ich eines meiner Leibgerichte zubereiten: Spaghetti Bolognese. Beim Kochen italienische Musik hören und ein Glas vollmundigen Rotweins trinken: eine tolle Vorstellung. Ich streife mit eiligen Schritten durch die verschiedenen Regale und suche zusammen, was zusammengehört. Aus dem Kühlregal greife ich schnell noch etwas Parmigiano, dann gehe ich hinüber zur Weinabteilung und wähle einen 2007er Merlot – hervorragend geeignet für Hackfleisch-Tomaten-Sauce. Ich freue mich darauf.
Mein Korb ist voll. Ich lege die Flasche oben auf und mache mich auf den Weg zur Kasse. Nichts wie nach Hause! Doch da passiert es: Die Flasche gleitet aus dem Korb. Es folgt ein lautes Klirren. Der schmackhafte, vergorene Rebensaft ergießt sich auf den weißen Bodenfliesen. Die Leute schauen in meine Richtung. Meine Gesichtsfarbe nimmt wohl gerade den Ton von reifen italienischen Tomaten an.
Ich schaue, ob jemand schaut. Ein junger Kerl um die 30 mit langen Haaren und einem Basecap auf dem Kopf bahnt sich seinen Weg an mir vorbei. Er sieht mitgenommen aus. Wahrscheinlich eine lange Nacht. „Boah, cool – jetzt bin ich wach“, sagt er und schaut auf die Scherben am Boden. Ich schmunzele und erwidere nur, dass es mir genauso geht. Adrenalin ist eben doch der beste Wecker.
Eine Mitarbeiterin, die das Geschehen beobachtet hat, blickt grimmig drein. Ich sehe ihre Mundwinkel entgleiten: Sie rutschen so tief nach unten, dass es mir beinahe unheimlich wird und ich beginne, mir Sorgen zu machen. Verlegen entschuldige ich mich. Doch die genervte Frau stapft wortlos an mir vorbei. Das finde ich nun unhöflich, denn ich habe die Weinflasche schließlich nicht absichtlich fallen lassen.
Ich frage mich, wieviele Kunden wohl täglich etwas Zerbrechliches fallenlassen, das sie anschließend wegwischen und beiseite kehren muss. Auf mein „Soll ich helfen?“ kommt nur ein „Neeee, lassen Se ma!“ zurück. Wirklich sehr nett. Ich stehe da, wie bestellt und nicht abgeholt und frage mich, ob es unhöflich ist, wegzugehen und meinen Einkauf fortzusetzen. Doch irgendwie bewege ich mich nicht von der Stelle.
Dann, die Rettung: Eine andere Mitarbeiterin kommt auf mich zu. Sie ist sehr groß, rundlich und trägt einen frechen Kurzhaarschnitt. Oft schon hat sie mich abkassiert. „Kann ja mal passieren. Schnappen Sie sich einfach eine neue Flasche.“ Na, warum denn nicht gleich so. Entscheidung abgenommen: Etwas erleichtert schlendere ich zur Kasse und bereite mich seelisch und moralisch auf mein leckeres Abendessen vor. Im Wein liegt Wahrheit – denke ich – und manchmal auch das Wesen eines Menschen.
Fallschirmspringen
Stundenlang beobachtet. Abheben, springen, landen.
Fasziniert.
Und am Ende eine Frage: Soll ich es wagen oder nicht?
Eine Tür, drei Passanten
Er kommt von innen und will nach draußen. Da sieht er sie. Sie ist etwa 35, trägt einen karamelfarbenen Trenchcoat. Umwerfend sieht sie aus mit dem schwarzen Haar und den rotgeschminkten vollen Lippen. Er möchte ihr die gläserne Tür aufhalten, doch sie hält bereits den Türgriff entschlossen in der Hand. Er lässt die Schöne gewähren und wartet geduldig. Sie lächelt ihn an. Weiß sie doch genau, was er jetzt denkt.
Der Dritte kommt aus Richtung Fahrstuhl und möchte ebenfalls nach innen gelangen. Er sieht sie. Sie ist wunderschön. Er möchte ihr die Tür nach innen drücken, bemerkt jedoch ebenfalls ihre Entschlossenheit, es selbst zu tun.
Als sie die Tür öffnet, wartet Nummer drei darauf, dass sie zuerst den Raum betritt. Höflich drückt sie das sperrige Holz nach innen und macht Platz für Nummer drei.
„Sie zuerst, meine Liebe“, sagt er.
„Wann kommt es schon einmal vor, dass ich einem Mann die Tür aufmachen darf? Ich bitte Sie – gehen sie“, erwidert sie und gibt ein strahlendes Lachen von sich. Wie kann er da widerstehen?
„Wie charmant“, sagt er, will die Tür passieren und blickt auf Nummer 1 – noch immer von innen wartend.
„Oh, hallo junger Mann! Na, wie es die Regel verlangt: zuerst raus, dann rein“, spricht er und tritt wieder zurück.
Nummer 1 passiert die Tür, nicht ohne der Schönen ein freundliches „Danke“ entgegenzuwerfen. Er dreht sich noch einmal um, ein wenig Eifersucht überkommt ihn. Ungern möchte er sie jetzt mit dem anderen zurücklassen. Ich sehe seinen golden blitzenden Ehering und schüttele den Kopf.
Als ich mich der Tür nähere, schlüpfe ich ohne zu Zögern zwischen den beiden Verbleibenden hindurch.
Vom Lesen und Laufen
Sehr gerührt. Die Tatsache, dass so viele interessante Menschen an meiner Ausschreibung teilnehmen, verurtsacht mir eine Gänsehaut. Ich lese jeden Text sofort, der bei mir eintrifft – um ihn ein paar Wochen später mit dem nötigen Abstand erneut zu lesen.
Ich bin ergriffen über diese und jene Zeile. Ich lache beim Lesen, weine oder – weil ich schockiert bin – senke mit aufgerissenen Augen und hochgezogenen Brauen meinen Kopf. Näher heran an das gedruckte Papier, das da vor mir liegt. Verschiedenste Stile, unterschiedlichste Charaktere, die sich aus dem Geschriebenen herauskristallisieren. Beeindruckend.
Ich gehe laufen, um über das Gelesene nachzudenken. Ich freue mich, dass es so viele Menschen gibt, denen Worte so wichtig sind. Die Route zum Weißensee. Vier- oder vielleicht doch fünfmal darum herum und dann wieder zurück, entschieden. Das macht genau eine Stunde. Die Sonne lacht, es ist windstill. Beste Voraussetzungen.
Angekommen am See. Eine ältere Dame sitzt auf einer Bank und liest „Die Frau des Zeitreisenden“. Als ich vorbeijogge, schaut sie kurz auf und lächelt mich an. „Das ist eine gute Wahl“, sage ich, zeige auf das Buch und laufe weiter. „Ja, es macht Freude!“, ruft sie mir nach. Auch hier ist die Literatur präsent.
Auf dem Weg nach Hause komme ich an einer Tischtennisplatte vorbei. Doch anstatt dem Pingpong zu frönen, steht auf der Platte ein Grill. Die jungen Kerle braten Nackensteaks und Bratwürste. Es riecht verführerisch und angesichts der Tatsache, dass ich soeben mindestens 700 Kalorien verbrannt habe und ausgehungert bin, würde ich am liebsten um ein Stück Fleisch betteln. Doch ich kasteie mich selbst.
„Guten Appetit, Jungs!“, rufe ich – an ihnen vorbeilaufend. „Willst auch ein Stück“, fragt ein Bengel um die 15. „Nein danke! Mein Kühlschrank zu Hause ist voll!“, lüge ich und laufe nach Hause. Ich möchte dorthin. Weil ich spüre, dass ein neuer Beitrag auf mich wartet. Daheim angekommen stecke ich meinen Kopf in den frisch eingetroffenen Beitrag. Er trägt den Titel „Irgendwo auf dieser Welt“.
Zwischeninformation an alle Teilnehmer: Danke!