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Milch des Leids

Zum ersten Mal seit ich in Berlin lebe, hat es mich erwischt, das Berlinale-Fieber. Es handelt sich zwar lediglich um eine leicht erhöhte Temperatur (ich habe bisher zwei Filme gesehen), dennoch: Ein Drama wird wohl noch eine ganze Weile in mir nachklingen.

In der peruanisch-spanischen Koproduktion „La teta asustada“ (deutscher Titel: „Milch des Leids“, wörtliche Übersetzung: „Die verängstigte Brust“) verarbeitet die Regisseurin Claudia Llosa die bedrückenden Erinnerungen an eine Zeit, in der terroristische Kämpfe in ihrem Heimatland Peru an der Tagesordnung standen. Unzähligen Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt – so auch die Mutter der jungen Filmprotagonistin Fausta, die die Erlebnisse gewissermaßen hautnah miterlebte: im Leib ihrer Mutter.

Fausta wird in einen immer größer werdenden Sog aus Verwirrung, Angst und Verzweiflung gezogen, nachdem ihre alte Mutter verstirbt. Aus Angst, ebenfalls missbraucht zu werden, hat sie sich noch zu deren Lebzeiten eine Kartoffel in den Unterleib gesteckt. Dies verursacht ihr permanent Schmerzen.

Da sie zudem noch unter zeitweiligem Nasenbluten leidet, begleitet ihr Onkel sie in eine Klinik und schildert dem Arzt, Fausta leide unter der „Milch des Leids“, einer Krankheit, bei der die Nöte der Mutter der Tochter gewissermaßen mit der Muttermilch übertragen wurden. Mit einer Routine-OP würde ihr rasch Linderung widerfahren. Doch aus Angst beschließt Fausta, den Schmerz als Teil ihres Lebens zu dulden und zu akzeptieren, denn er ist nichts im Vergleich zu ihrem größten Schmerz, der für die Augen unsichtbar ist: Die Angst, die in ihrem Herzen steckt.

Ihre einzige Zuflucht ist die Musik. Wann immer sie sich unbeobachtet fühlt, singt Fausta traurige Lieder, die sie zusammen mit ihrer Mutter gesungen hat. Sie handeln allesamt von einer unbarmherzigen Vergangenheit.

Um die Überführung des Leichnams ihrer Mutter in das Heimatdorf bezahlen zu können, muss Fausta hart arbeiten. Als sie bei einer Konzertpianistin eine Stelle als Hausmädchen antritt, scheint sich die Verwirrung des Mädchens peu à peu zu legen.

Der Zuschauer gewinnt den Eindruck, dass alte Wunden heilen werden und sich eine Freundschaft zwischen den ungleichen Frauen entwickelt. Dies zeichnet sich unter anderem dadurch ab, dass es eine Art Pakt zwischen beiden gibt: Nachdem der reichen Frau auf den Fliesen des Bads eine Perlenkette zu Bruch geht, soll der scheuen Fausta mit jedem Lied, das sie für die Hausherrin singt, eine Perle zugesprochen werden. Auch der Gärtner der Konzertpianistin wird zu einem weiteren kleinen Lichtblick in Faustas Leben.

Eines der Lieder Faustas kann die Pianistin auf einem Konzert in einer Weise umsetzen, die das Publikum verzaubert. Tosender Applaus, und der Erfolg der reifen ist nun ebenfalls Erfolg der jungen Frau. Auch die letzte Perle gehört nun Fausta. Doch die Pianistin wirft Fausta unerwartet und noch vor der Übergabe der Perlen hinaus. Geteilter Erfolg ist nur halber Erfolg.

Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur ein kleiner Hinweis: Der Film geht nicht so traurig aus wie man dann vermutet. Die einfache – und doch bisweilen so schwer erreichbare – Moral, die ich daraus ziehe: Vergangenes lastet immer nach, doch bereits ein kleiner Lichtblick kann die erlösende Rettung bedeuten.

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Nachtrag 15.02.: Goldener Bär für „La teta asustada“

Wenn Dir der Atem stockt…

Vor circa zwei Wochen war ich mit einem Freund im Friedrichstadtpalast. Wir haben uns die – inzwischen leider beendete – Show GLANZLICHTER angeschaut.

Die Reise beginnt in Berlin, weiter geht es zum Broadway ins New York der 20-er Jahre, und im Anschluss findet man sich in Paris wieder und erlebt eine große Revue hautnah mit.

Das jeweils Unverwechselbare, Sehenswerte und Typische der drei tosenden Metropolen wird in Verbindung mit einem grandiosen Farb-, Licht- und Klangspektakel dargestellt, und die drei Städte verschmelzen beinahe „nahtlos“ miteinander und ineinander. Dabei wurde keinesfalls auf eine großzügige und üppige Ausstattung verzichtet… „Pompös“ wäre wohl ein bezeichnendes Wort für die Show.

Jede einzelne der Inszenierungen und jedes Element für sich waren einzigartig anzusehen und haben mich schwer bewegt. Eine grandiose Trapeznummer mit einer attraktiven Aktobatin ließ mich konzentriert und verträumt zugleich sein, zu Tränen gerührt war ich bei dem Lied Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin…, 50 Paar synchron steppende Füße und die typische „Girlreihe“ haben mich staunen lassen, und der Atem stockte mir beim Todesrad.

Im Garten des Exils und im Garten Berlins

Bereits seit geraumer Zeit hatte ich mir vorgenommen, dem Jüdischen Museum in Kreuzberg einen Besuch abzustatten. Ich habe mir sowohl die Dauer- als auch die Sonderausstellung angeschaut und mir dafür etwa drei Stunden Zeit genommen.

Von einigen Dingen – neben all den schrecklichen Fakten, die man hier zu lesen und furchtbaren individuellen Geschichten, die man zu sehen bekommt – haben mich vor allem einige architektonische Anlagen im Libeskind-Bau beeindruckt.
Folgendes Bild zeigt ein paar Stahlplatten in 2D-Gesichtsform aus den so genannten „Voids“, die das Verlorene symbolisieren sollen.

Sie haben mich besonders beeindruckt. Meiner Meinung nach drücken sie einfach „alles“ aus. Man konnte über sie hinweggehen… im wahrsten Sinne des Wortes auf sie treten. Die Geräusche, die dabei entstehen, sind unbeschreiblich. Doch im Grunde ist es, als würde man nach der Trauer irgendwo am Horizont eine seichte Melodie der Hoffnung vernehmen… Dies würde dann allerdings bedeuten, dass hier nicht nur das Verlorene, sondern auch eine ferne Hoffnung dargestellt wird…

Weiterhin gab es im Jüdischen Museum (genauer: im Libeskind-Bau) eine Art Garten zu sehen, der architektonisch so „ungerade“ konstruiert war, dass jedem, der hindurchgeht, tatsächlich schwindelig wird. Ich habe versucht, mich an irgendetwas Gradem zu orientieren, mich gewissermaßen irgendwo festzuhalten, doch es ist mir nicht gelungen. Die Anlage ist um ganze zwölf Grad geneigt, gerade so viel, wie es bedarf, um die sinnliche Wahrnehmung zu täuschen… Das einzig Rechtwinklige war schlicht die quadratische Form der Anlage. Ihr Name: Garten des Exils – nichts für schwache Gemüter. Auf den Seiten des Jüdischen Museums kann man folgendes darüber lesen: „Diese räumliche Erfahrung soll auf das Gefühl von Haltlosigkeit und die mangelnde Orientierung verweisen, welche Emigranten empfanden, die aus Deutschland vertrieben wurden. Aus den Stelen wachsen Ölweiden, die Hoffnung symbolisieren.“

Wer an Klaustrophobie leidet, sollte sich nicht den Holocaust-Turm anschauen, ein etwa 15 Meter hoher Raum, dunkel, mit nur einer schmalen Lichtsäule, die sich dem Himmel entgegenreckt. Es wirkt, als würde sie zu fliehen versuchen …

Im Anschluss war ich mit einem guten Freund am Urbankrankenhaus am Landwehrkanal verabredet. Wir haben im Rasen gelegen, geredet und die Schwäne beobachtet, die von Kindern gefüttert wurden. Ab und zu fuhr ein Rundfahrtschiff vorbei.
Sogar ein Schiff mit Musikanten darauf – ich habe es „Musikkutter“ genannt – zog an uns vorüber, als wir auf einem Schiffscafé saßen.

Am Abend waren wir noch auf einem Konzert im Englischen Garten in Tiergarten, von dem wir vorher gehört hatten. Dort spielte eine African Trance Percussion-Band mit Namen „Senegambigha“. Ein schönes Konzert mit starken Rhythmen. Die Künstler – daraus setzt sich der Name der Band zusammen – stammen aus Senegal, Gambia und Ghana.