8.30 Uhr. Aus der Haustür tretend stelle ich fest, dass noch immer viel Schnee liegt. Na denn, wann hat man schon mal so einen Winter. Und er mutet ja doch recht idyllisch an. Hinzu kommt allerdings eine ziemliche Glätte, auf die meine profillosen Schuhsohlen permanent reagieren: Ich rutsche hin und her und muss kleine Trippelschrittchen machen, um nicht zu fallen. Würde ich jetzt hinter mir laufen und mir bei diesen Bewegungen zusehen, würde ich mich wohl über mich selbst lustig machen. Wie praktisch es doch ist, dass man nicht mit dem Anblick der eigenen Körperrückseite konfrontiert wird.
Als ich um die Ecke biege, sehe ich, dass sich der Bus bereits gefährlich schnell der Haltestelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite nähert. Ich bin noch gute 50 Meter davon entfernt, also verdrehe ich kurz genervt die Augen und renne los, denn der nächste Bus kommt erst wieder in zehn Minuten. Ich darf keine Zeit verlieren. Stress am frühen Morgen.
Und dann passiert es: Mein rechter Fuß verliert die Bodenhaftung und gleitet nach vorn. Gerade noch so kann ich mich halten und versuche armrudernd meinen Körper auszutarieren. Auch diese Bewegung sieht sicher nicht sehr anmutig aus. Ich sehe mich schon beinahe in Sicherheit, doch dann verliere ich den Kampf mit der eisigen Glätte: Ich falle nach hinten und rutsche mit dem Hintern ein paar Meter nach vorn – das rechte Bein voran. Okay, das sieht nun garantiert so richtig bescheuert aus.
Das rechte Bein ist es dann auch, das einer älteren Frau um die 60 ebenfalls den Boden unter den Füßen wegreißt. Ich schlittere direkt in sie hinein, und noch bevor ich „Vorsicht!“ rufen kann, liegt sie auch schon auf dem Rücken und stöhnt. Ihre Begleiterin, etwas älter als das Opfer, stößt einen kleinen Schreckensschrei aus, dann dreht sie sich zu mir um und schaut mich erzürnt an. Jetzt bekomme ich bestimmt Ärger. Sie starrt mich eine Weile an und sagt dann nur: „Oh Gott! Ein Mädel auch noch.“ Ich habe keinen blassen Schimmer, was sie damit meint. Noch Stunden später grübele ich darüber nach, ohne zu einer plausiblen Erklärung zu gelangen.
Mein schlechtes Gewissen lässt mich die Damen gefühlte 1.000 Male fragen, ob denn alles in Ordnung sei und ob ich denn wirklich nicht helfen könne. Die beiden geben mir fast schon genervt mit Blicken zu verstehen, dass ich mich verziehen soll. Ich drehe mich noch etwa dutzendmal nach ihnen um. Sie stehen da und unterhalten sich angeregt. Worüber, das kann ich nicht mehr hören. Ich bin zu weit weg. Irgendwann höre ich es hinter mir kichern. Ich drehe mich um. Tatsächlich, die Frauen kichern. Ich runzele die Stirn, nun verstehe ich gar nichts mehr. Oder vielleicht doch: Anscheinend hatten sie schon lange kein so bewegendes Erlebnis mehr – im wahrsten Sinne des Wortes.