Was macht eigentlich Heinrich?

Das berühmte kleine Reh aus Osteressen ist gar kein richtiges Kitz mehr: Schlank und hochgewachsen ist der bald vier Monate alte Bock. Die typischen Kitzflecken auf seinem Rumpf sind verschwunden. Im Mai dieses Jahres hatte der Kleine seine Mutter bei einem Verkehrsunfall verloren. Seitdem lebt er bei seiner Ziehfamilie, den Göttkes. Tagsüber springt Heinrich munter in seinem Gehege herum, nachts kommt er ins Haus. Die Göttkes freuen sich: Heinrich ist inzwischen ein richtiger Wiederkäuer. Die Flasche braucht er nur noch selten.

>> Hier erfährst Du Heinrichs Geschichte.
Macht sichs auf seinem Stroh gemütlich: Heinrich Göttke 😉

Keksgänger

„Weißt Du, ich koche heute nicht. Mein Mann kommt eh immer so spät nach Hause. Soll er doch sehen, was er isst!“, beklagt sich die brünette Frau mit der Ketchupflasche in der Hand bei ihrer Bekannten. Die beiden stehen im Nudel- und Soßenregal und halten ein Schwätzchen.
„Ja, ich kann Dich da total verstehen. Meiner kommt auch immer so spät. Ehrlich gesagt geht mir das total auf den Keks.“ Die Bekannte verzieht die Mundwinkel und winkt ab. Beide Frauen sind sichtlich sauer.

Auf den Keks gehen – diese Redewendung gebraucht man, wenn man sich durch etwas oder jemanden genervt fühlt. Woher sie stammt, ist allerdings bis heute noch immer nicht ganz klar. Erst in den vergangenen dreißig Jahren hat sie sich in den hiesigen Volksmund geschlichen. Klar ist: Das Wort Keks stammt aus dem Englischen – cake. Und cake nannte man in England bereits in den 1960er-Jahren verrückte oder durchgeknallte Menschen. Man vermutet, dass mit Keks der Kopf gemeint ist.  Zerbröselt einem der Keks, gehen Nerven zu Bruch. Eigentlich ganz logisch, finde ich.

Ich schleiche hinter den beiden Frauen her und höre noch, wie die Brünette sagt: „Naja, aber ohne Männer geht es eben auch nicht.“ Die Bekannte nickt, kichert und greift nach passierten Tomaten. Vielleicht wird ja heute doch noch gekocht.

Zwar keine Kekse, dafür aber reich an wichtigen Nährstoffen: chinesisches Essen

 

„Ich bin mit Kynast aufgewachsen“

Quakenbrück. „Ich bin hier aufgewachsen“, erzählt Detlef Stefan Bülow und schaut auf eine große Karte an der Wand seines Büros. Auf ihr zu sehen: das Gelände der ehemaligen Firma Kynast OHG. Wir gehen aus dem Raum und stehen in einem großen, kahlen Flur. „Und hinter dieser Mauer hatte ich einmal mein Kinderzimmer. Da war ich acht Jahre alt.“

Detlef Stefan Bülow ist der letzte Mitarbeiter der Firma Kynast – oder was von ihr übrig ist. Der gelernte Maschinenbauer führt die Reporterin durch die alten Hallen und Räume und erzählt dabei von einer langen und zunächst sehr erfolgreichen Firmengeschichte.

Mit seinem Vater Otto gründet Werner Kynast im Jahr 1951 die Kynast OHG. Bereits zwei Jahre später ist eine Erweiterung der Produktionsräume nötig: Die Nachfrage steigt. Im August 1956 verlässt das einhunderttausendste Fahrrad den Betrieb. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten 80 Menschen in der Produktion.

In den folgenden Jahren vergrößern sich Belegschaft und Räumlichkeiten. Die Hallen und Produktionsstätten befinden sich auf dem alten Fliegerhorst. Eine Erfolgsgeschichte, so scheint es, die nicht zu stoppen ist. Doch im August 1968 folgt die Katastrophe: Die Fahrradfabrik fällt einem Großbrand zum Opfer. In der Lackiererei bricht aus noch immer ungeklärten Gründen ein Feuer aus. „Es breitete sich so schnell aus, dass die Arbeiter keine Chance hatten, es zu löschen“, erzählt Delef Stefan Bülow.

Der Schaden: rund zwei Millionen Deutsche Mark. Der sympathische Mann mit den wachen Augen erinnert sich noch genau an die blonde Frau, die in einen Teil der brennenden Fabrik lief und mit einem Fahrrad wieder herauskam. „Sie rief: Wer zwei Fahrräder rettet, darf eins behalten!“ Die Dame sei ihm damals sehr verzweifelt vorgekommen, aber irgendwie auch mutig. „Meine Oma ist auch reingelaufen und hat tatsächlich zwei Räder rausgeholt!“ Der 52-Jährige lächelt. Seine Oma habe ihm dann auch erzählt, dass die blonde Frau Gerda Kynast war, die Frau von Werner Kynast.
Das millionste Fahrrad

In den darauffolgenden Jahren ist die Firma mit den Aufbau- und Restaurierungsarbeiten beschäftigt – und allem Unheil zum Trotz wird 1968 das millionste Fahrrad hergestellt.

In den 1970er-Jahren zieht das Unternehmen eine Rohrziehanlage und ein Rasenmäherwerk hoch. Wenig später beginnt man, Mopeds zu fertigen, dann auch Kinderschaukeln und Fitnessgeräte. „Werner Kynast strebte immerzu nach Veränderungen und nach Neuerungen – nach dem Tollsten und Besten“, erzählt Detlef Stefan Bülow.

Aber mit dem Unternehmen Kynast steht und fällt auch die Karriere von Bülow: 1983 beginnt er bei Kynast als Fahrradmonteur. 15 Jahre später überträgt ihm das Unternehmen die Verantwortung für die Wareneingangskontrolle. Dann wird er Assistent der Geschäftsleitung. Zudem eignet sich Detlef Stefan Bülow umfangreiches Wissen im Bereich Personalmanagement an. Wir gehen durch die Lagerhallen und ehemaligen Produktionsräume, wo sich mittlerweile andere Firmen und Privatpersonen eingemietet haben. Bülow ist jetzt hier Verwalter.

Wir kommen zu einem Gebäude, in dem sich heute eine Rennstrecke des RC Racing Teams Quakenbrück befindet. „Das glaubt man gar nicht, dass es hier so etwas gibt, wenn man draußen steht, was?“ Detlef Stefan Bülow schmunzelt. Auch die Unternehmen Metallbau Teufert und vip-Massivhaus haben hier Räume gemietet.

Er erinnert sich auch noch an weniger friedliche Zeiten in der Firmengeschichte: Über Jahre hinweg habe es Streit gegeben zwischen seinem damaligen Chef und dem Nachbarn Friedrich Segler, der seine Firma nebenan hatte. Das ,Kriegsgebiet‘ sei eine zwischen beiden Betrieben liegende Werksstraße gewesen, die zur einen Hälfte Segler und zur anderen Werner Kynast als Zufahrt zum jeweiligen Werksgelände gedient habe. Kynast habe den Weg oft versperrt und als Abladeplatz verwendet.

Im Dezember 1980 lässt die Firma bereits das zehnmillionste Fahrrad vom Band und stellt eine neue Bandspaltanlage vor. 1992 wird die Kynast OHG in die Kynast AG umgewandelt.
Es war nie langweilig

Wenn der Export ins Ausland bis jetzt noch bis zu 38 Prozent betrug, war er jetzt allerdings dramatisch eingebrochen. Und auch der Absatz in Deutschland kann wegen der Konkurrenz nicht gehalten werden. Im Jahr 1995 stirbt Werner Kynast im Alter von 77 Jahren. Die Stadt Quakenbrück würdigt seine Verdienste mit der Verleihung des Ehrenringes. Der Bundespräsident spricht ihm das Bundesverdienstkreuz zu. 1999 muss die Kynast AG Insolvenz anmelden, der Stahlrohrbereich läuft aber weiter. Der Insolvenzverwalter verkauft die wesentlichen Betriebsgrundlagen an Finanzinvestoren: Es entsteht die Kynast GmbH. Anfang des neuen Jahrtausends müssen dann auch diese neue Firma und die Kynast Steel GmbH Insolvenz anmelden.

2005 verkauft der Insolvenzverwalter das Unternehmen an eine zur Übernahme neu gegründete Kynast-Steel GmbH an den Investor Horst Rumpf aus Lienen. Die neue Gesellschaft nimmt im Januar 2006 die Produktion auf.

„Bei Kynast ging es immer auf und ab. Langweilig wurde es nie“, erzählt Bülow. „Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Aber zu erwarten ist wohl nicht mehr viel. Immerhin bin ich hier der letzte Mitarbeiter.“ Dann lacht er und geht weiter.

(c) Text erschienen am 16.07.2011 im Bersenbrücker Kreisblatt

Detlef Stefan Bülow zeigt auf das Kynast-Gelände

 

Von Milch und Mädchen

Es ist herrlich warm draußen. Ich sitze im Eiscafé und löffle Vanilleeis. Mir zur Rechten sitzen zwei Mädchen um die zwölf Jahre. Ich belausche ihr Gespräch. Es dreht sich um einen Kuchenbasar, den ihre Schule demnächst veranstalten wird.

„Wenn wir den ganzen Kuchen verkaufen, kriegen wir total viel Geld!“, schwärmt die eine. „Davon kaufen wir uns dann was Schönes – ein Fahrrad oder sowas.“
Das andere Mädchen beginnt zu lachen und kriegt sich fast nicht mehr ein. „Was ist denn?!“, fragt die erste und schlürft an ihrem Milchshake.
„Naja, ein Fahrrad … Das ist doch die totale Milchmädchenrechnung!“
„Die waaaas?“ Unverständliche Blicke von der ersten.
„Mann Lara, hast Du das Wort noch nie gehört? Milchmädchenrechnung: Das ist, wenn sich einer etwas ausrechnet, das gar nicht hinhauen kann!“

Diese Erklärung ist zwar etwas dürftig, aber durchaus zu verstehen.
Hintergrund der Redewendung: Der französische Schriftsteller Jean de la Fontaine schrieb im 17. Jahrhundert eine Fabel über eine junge Bauernmagd. Am Morgen geht sie zum Markt, wo sie Milch verkauft. Auf dem Weg und während des Verkaufs denkt sie darüber nach, was sie sich von dem Gewinn alles kaufen könnte: Sie träumt von Hühnerzucht und Schweinen … und stolpert. Die Milch verschüttet sich über den Boden. Wenn jemand einen Traum hat, sagt man seitdem gern: Das ist eine Milchmädchenrechnung.

„Naja, vielleicht hast Du recht, Lisa. Ein Fahrrad werden wir uns davon nicht kaufen können. Aber vielleicht ja einen Kuchen!“ Und dann bestellen sie die Rechnung. „Die Mädchenrechnung bitte!“, grinst die eine und schaut die Kellnerin an. Die hat natürlich überhaupt keine Ahnung, was hier abgeht. Die beiden Mädchen prusten los.

Nichts geht über ein kühles Gläschen Milch.