„Hier riecht es nach feuchten Wollsocken“, stellt Hagen Rether fest, als er die Aula-Bühne des Artland-Gymnasiums betritt. Die ersten Lacher hat er damit schon auf seiner Seite. Und irgendwie stimmt es wohl auch: Die Zuschauer nicken eifrig.
Der groß gewachsene Kabarettist ist eine Erscheinung: Er trägt einen hellgrauen Anzug, schwarze Lederschule und einen Pferdeschwanz. Charmant wirkt er – und seriös. Seine großen, dunklen Augen blicken eindringlich in die Runde. Doch wenn der 42-Jährige sein breites Grinsen zeigt, scheint man eher einen großen Jungen vor sich zu haben: frech und schelmisch.
Meist sitzt Hagen Rether an seinem schwarz polierten Flügel, dem „Piano Hartz“. Er rollt auf einem Bürostuhl mit verstellbaren Armlehnen hin und her, spielt damit, erfreut sich daran – und redet. Es sprudelt nur so aus ihm heraus. Seine Themen: Religion, Kapitalismus, Massenmedien und Globalisierung. Es ist Gesellschaftssatire vom Feinsten. Es sind schonungslose Worte, gut verpackt im sanften Plauderton. Bei den rund 600 Gästen kommt das gut an.
Oft vergehen ein paar Sekunden, bevor das Lachen beginnt. Das Gesagte muss erst vordringen, erst seinen Weg in die Köpfe finden. Doch ab und zu sind die Worte zu aufwühlend, zu real, um darüber lachen zu können. Eigentlich möchte man weinen – wenn Hagen Rether beispielsweise sagt: „Es könnte doch alles so einfach sein. Wir müssen doch einfach nur nett zueinander sein.“
Und ganz plötzlich holt der Kabarettist ein Reinigungsmittel und einen rosafarbenen Putzlappen hervor und putzt mit ebenso gelangweilter wie liebevoller Akribie sein Piano, auf dem ein paar knallgelbe Bananen liegen. „Aber was rege ich mich auf“, sagt er leise – ein Satz, den man an diesem Abend noch oft hören wird. Schweigen liegt im Saal.
„Eigentlich wollte ich ja Bauingenieur werden, aber meine Eltern sagten: Nein, du bist lustig, du gehst auf die Bühne“, kommt es aus dem Nichts. Es bedarf keiner weiteren Erklärung, und das Publikum grölt wieder. Und während er dann eine seiner Bananen isst, kritisiert er die Massentierhaltung. Es ist eine Berg-und-Tal-Fahrt der Gefühle, die Hagen Rether mit seinen Gästen unternimmt.
Sein Programm trägt seit 2003 den Titel „Liebe“. Es ist die Liebe zur Gerechtigkeit und zum guten Miteinander, die Liebe zum Menschen – das wird schnell klar.
Ab und zu streicht sich Hagen Rether mit dem Zeigefinger der rechten Hand über das geschlossene Augenlid. Auf seinem Piano Hartz spielt er ab und zu ein paar gleichförmige, sanfte Töne. Ganz so als wolle er damit die Wunden streicheln, die das Gesagte in den Köpfen der Menschen verursacht. Und ganz am Ende ist das Lachen fort. Was bleibt, ist das Nachdenken.
„Passen Sie gut auf Ihre Kinder auf.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich der redselige Hagen Rether von seinen Gästen. Der Applaus hält an. Ganz langsam stehen die Menschen auf und verlassen ruhig die Aula – ganz ohne zu drängen.
Ich kenne ihn bisher nur aus dem Fernsehen und aus YouTube-Videos, aber irgendwann möchte ich ihn mal live sehen – derart knallharte, bitterernste Satire findet ist selten.
Hagen Rether kenne ich schon ne ganze Weile – seit „Möllemann publikumswirksam ins Gras gebissen hat“ (in seinen Anfangstagen war sein pechschwarzer Humor manchmal etwas grenzwertig, trotzdem oder gerade deshalb: der Mann ist genial )
Es gibt wohl wenig Leute, die das aktuelle Tagesgeschehen so bissig auseinandernehmen…
Das hört sich nach einem sehr schönen, lustig-nachdenklichen und in Erinnerung bleibenden Abend an – ich werde mal ein bisschen nach ihm stöbern, mir sagt der Name erstmal nicht viel…
Beste Grüße!
Coralita, gleich bei deinen ersten Zeilen hatte ich den richtigen Mann vor meinem geistigen Auge – und das will bei mir was heißen, da ich sehr selten den Fernseher anmache. In Originalveranstaltungen gehe ich aus mehreren Gründen nicht mehr. – Aber ich habe seine Auftritte auch in guter Erinnerung.
Liebe Grüße zu dir von Clara