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Verständnis und Entschuldigung

Es ist kalt da draußen. Richtig kalt. Die Temperaturen sind in der vergangenen Nacht in einigen Teilen des Landes erstmals seit 22 Jahren auf unter minus 25 Grad Celsius gesunken. In einigen Bundesländern ging es sogar auf fast schon arktische minus 30 zu, heißt es. Auch in Berlin hat der Winter Einzug gehalten.

Als ich heute Morgen aus der Haustür trete, weht mir die noch immer eisige Kälte entgegen. Allein der spontane Gedanke an Eisschwimmen in der Ostsee treibt mir eine Gänsehaut auf den Körper. Ich sehe, wie ein Auto auf der Greifswalder Straße auf ein anderes fährt, das aus einer Nebenstraße geschlittert kommt. Die Fahrer steigen aus und reden miteinander. Der eine zuckt die Schultern und sagt irgendetwas. Der andere nickt ergeben und zückt daraufhin sein Handy. Ich wende meinen Blick von den beiden Männern auf die ineinander verschränkten Autos und bin erleichtert, dass ich gleich in der warmen S-Bahn sitzen werde.

Am S-Bahnhof angekommen, eile ich zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zum Bahnsteig hoch. Ich verpasse die Ringbahn, sie fährt direkt vor meinen Augen davon. Die nächste kommt laut Anzeigentafel erst in zehn Minuten. Ich friere schon jetzt, doch in zehn Minuten werde ich wohl erfroren sein. Ich reibe meine in dicke Handschuhe verpackten Hände aneinander und trete von einem Fuß auf den anderen. Nach wenigen Minuten kommt die Durchsage, dass sich die Bahn um wenige Minuten verspäten werde. „Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Ein paar Minuten halte ich jetzt auch noch durch.

Es wird richtig unangenehm. Ich kneife ein Auge zu und schiele mit dem anderen hinab in Richtung Nase. Rot. Nein, doch eher knallrot. Mein Riechorgan ist eiskalt und beginnt zu laufen. Ich schniefe. Immerhin kommt gleich die ersehnte Bahn. Doch die Lautsprecher kennen keine Gnade, eine zweite Ansage folgt: Der Zug verspäte sich erneut um wenige Minuten. „Wir bitten um Ihr Verständnis und um Entschuldigung“, wirft die weibliche Sprecherstimme den Fahrgästen entgegen. UND um Entschuldigung… Was zuviel ist, ist zuviel. Mir entfährt ein erzürntes – und zugegeben etwas prolliges – „Maaaann ey!“. Zahlreiche Augenpaare schauen mich an, ich interpretiere die Blicke einfach als verständnisvoll.

Fünf Minuten später fährt endlich die Bahn ein. Ich glaube meinen Augen nicht zu trauen, als ich sehe, dass sie rappelvoll ist. Der Menschenmasse auf dem Bahnsteig scheint es genauso zu gehen. Jeder versucht, in den Zug zu gelangen, koste es, was es wolle. Ein Gehetze, ein Gedrängle. Ich überlege schon, die nächste zu nehmen, doch mit letzter Kraft gelingt es auch mir, den wohl letzten Platz zu erhaschen. Die Türen schließen sich mahnend und rot blinkend. Die Luft in der Bahn ist alles andere als frisch. Man möchte sofort die Fenster aufreißen. Niemand traut sich zu fragen, denn auch die Stimmung lässt zu wünschen übrig.

„Könnten Sie mal bitte den Stopper betätigen? Die Räder Ihres Kinderwagens knallen permanent gegen meinen Fuß!“, schnauzt eine Frau mittleren Alters verständnislos eine junge Mutter mit Kleinkind an. Diese bewahrt Ruhe und befolgt den Wunsch der anderen augenverdrehend. Doch bereits eine Station später brüllt die Gepeinigte vollkehlig: „Jetzt reicht’s! Das ist das fünfte Mal, dass mir Ihr Wagen gegen den Fuß fährt!“. Jetzt platzt auch der Mutter der Kragen: „Sie keifen doch hier einfach nur aus Frust rum!“. Zwei Frauen streiten in einem beängstigend vollen und stickigen S-Bahn-Wagen.

Ich bin froh, als ich mein Ziel erreiche und aussteigen kann. Auf dem letzten Wegstück denke ich darüber nach, wie schön es jetzt wäre, durch einen verschneiten Park zu laufen und eine Schneeballschlacht zu machen oder besser noch: Urlaub in Costa Rica. Manchmal ist eben selbst mir Berlin ein klein wenig zuviel.

Weil Du heut Geburtstag hast…

In Gedanken bin ich heute ganz bei Dir. Du hast Geburtstag. Dieses Jahr ist es bereits der 93. Ein stolzes Alter, das Du erreicht hättest, würdest Du noch leben. Du hast immer einen Tag nach mir Deinen Ehrentag gefeiert. Unsere Geburtstage standen immer in Verbindung: Erst Kuchen essen bei uns, einen Tag später Kaffee trinken bei euch. Warum Menschen ihren eigenen Geburtstag feiern und nicht den der Mutter, die sie zur Welt gebracht hat, habe ich schon als kleines Mädchen nie begriffen.

Wie dem auch sei: Wenn Du zu Besuch kamst, hast Du immer eine kleine braune Ledertasche dabei gehabt, in der sich eine Tafel Schokolade für jede Deiner drei Enkelinnen befand. Du hast an der Tür geklingelt, und ich war dann die erste, die die Treppe herunterstürmte, um Dich zu umarmen. Ich wurde schon hellhörig, wenn ich nur das Brummen Deines VW Fox hörte. Nicht, dass es mir so sehr um die Schokolade gegangen wäre, vielmehr habe ich mich auf Deinen Altherrengeruch und Deine Umarmung gefreut, auf Dein fröhliches Lächeln und Dein schelmisches „Na, Anja?“.

Seit Du nicht mehr bei uns bist, hat sich einiges verändert. Ich denke sehr oft an Dich, erinnere mich an Nachmittage in unserem Garten zurück. Dort gab es alles, was sowohl der Magen als auch die Augen begehrten. Ein ganzes Alphabet voller Köstlichkeiten – von A wie Apfelbäume über S wie Stachelbeeren bis hin zu Z wie Zwiebeln. Wir haben im Sommer schwarze und rote Johannisbeeren gepflückt oder Erdbeeren genascht und dabei stundenlang geredet.

Unser Gesprächsthema war oft der Krieg. Am meisten hast Du mir von Deiner Gefangenschaft in San Franzisco erzählt. Das war eine harte Zeit für Dich. Du hast mir aber auch oft von glücklichen Tagen berichtet und von Papa, als er ein kleiner Junge war. Und von seinen Brüdern. Auch von Oma hast Du geschwärmt, wie hübsch sie war. Sie ist acht Jahre vor Dir gestorben, und das hat Dich immer trauriger werden lassen. Du hast sie vermisst, Dich oft allein gefühlt. Einsam warst Du aber nie. Selbst in Deiner letzten Stunde hattest Du geliebte Menschen an Deiner Seite: Papa und mich.

Es ist jetzt über zehn Jahre her, dass wir Dich verloren haben. Doch nach wie vor ist der 14. Dezember Dein Geburtstag. Er wird es immer für mich sein. Solange ich lebe, werde ich ihn jedes Jahr in meinen Kalender eintragen – ganz so, wie ist es bisher getan habe. Alles Gute, Opa.

Schneevermögen

Mein Liebster ruft freudig erregt an und informiert mich darüber, dass es gerade schneit. Es ist der erste Schnee in diesem Jahr, und als ich aus dem Fenster schaue und die flauschigen Flocken niederschweben sehe, beginne ich zu träumen und denke an das Jahr 1985 zurück.

Ich bin fünf Jahre alt und trage eine rote Wollmütze, das damals noch blonde lockige Haar darunter lugt widerspenstig hervor. Ein Paar Fäustlinge ragen aus meinen Manteltaschen. Ich muss aufpassen, dass ich sie nicht verliere. Ein dicker und ebenfalls roter Schal umschlingt meinen Hals. Das Gesicht ist vom Herumtollen gerötet.

Es ist kalt geworden, die Straßen sind gefroren. Kinder tummeln sich darauf und fahren ihre kleinen Geschwister mit Schlitten herum. Einmal kommt eine Kutsche vorbei. Den Mann darauf kenne ich, es ist unser Nachbar. Er winkt uns zu. Seine Tochter sitzt auf einem der beiden Pferde und wuschelt ihm durch die schöne braune Mähne. Mit offenem Mund staune ich das Mädchen an. Ich finde sie mutig und möchte reiten lernen.

In Jahr 1985 jedenfalls bauen meine ältere Schwester und ich ein großes Schneeiglu. Unmengen an gefrorenem Nass schaufeln wir auf, um einen großen Berg zu erhalten. Mit Papas Hilfe graben wir uns in ihn hinein und höhlen ihn aus. Stundenlang spielen wir in unserem Iglu und naschen Süßigkeiten, manchmal sogar vor dem Mittagessen. Natürlich heimlich. Unsere Mutter wundert sich nur, dass wir keinen Hunger mehr haben. Aber wie Mütter so sind: Sie ahnt es, und wir ernten mahnende Blicke.

Was mich am meisten fasziniert, ist die Tatsache, dass es im Iglu so schön warm ist, obwohl doch keine Heizung vorhanden ist. Manchmal ist es sogar so angenehm, dass ich in Versuchung gerate, meinen Mantel auszuziehen.
Eines Morgens dann ist unsere Höhle verschwunden. Es hat getaut…

Das Telefon reißt mich aus meinen Tagträumen. Nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, sehe ich aus dem Fenster und freue mich. Manche Gefühle und Erinnerungen daran bleiben also ein Leben lang bestehen…
Es ist wieder Winter.

Eine milde Gabe…

Nicht nur mit den Finanzen, sondern ganz im allgemeinen geht es mit der Wirtschaft hierzulande den Bach runter. Von „Rettungspaketen“ ist an allen Enden und Ecken die Rede. So werden sie tagtäglich geschnürt, mal lockerer – mal fester. Für marode Banken und Konzerne. So erhält auch Opel nun finanzielle Unterstützung von Angela Merkel – und das, obwohl (oder gerade weil?) das Unternehmen so unattraktive Autos produziert. Und hässliche Autos kauft eben keiner…;-)

Man darf gespannt sein, welche die nächste Branche sein wird, der unter die Arme gegriffen wird. Landwirte und Milchbauern werden es mit Sicherheit nicht sein. Ganz zu schweigen von den Ottos und Ernas Normalverbraucher. Sie zahlen weiterhin horrende Steuern, die manchmal bis an die Hälfte des Bruttogehalts reichen. Als Schwester oder Bruder darf man inzwischen nicht einmal mehr ohne Einschränkungen erben (vielleicht sollte man ja doch in Erwägung ziehen, nach Österreich auszuwandern…).

Man leistet monatlich hohe Krankenkassenbeiträge und toleriert ja auch sonst so Einiges. Doch Pakete kriegt man noch lange nicht. Nicht einmal winzige Päckchen. Und geschnürt wird auch nur der eigene Gürtel – nämlich immer enger. Und wer soll sich da schon noch ein Auto/einen Opel leisten können? (Wer kauft schon ein hässliches und zudem noch teures Auto?)

Vielleicht sollte ich bei der Bundeskanzlerin auch um staatliche Unterstützung bitten. Oder besser noch: Sie kann mich ja als Erbin einsetzen. Ach halt, da war doch was: Das geht ja nicht, da ich weder ihre Mutter noch ihre Tochter bin. Das würde mich teuer zu stehen kommen… Aber ich könnte mich ja von Angela adoptieren lassen. Ja, das ginge.

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Nachtrag: Als jonet-Leserin verfolge ich täglich Mailverkehre zwischen Journalisten. Auch hier macht man sich Gedanken zu obigem Thema. Einer schrieb sogar einen Brief an unsere Bundeskanzlerin und hatte damit eine ähnliche Idee wie ich. 😉

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,
wie ich den Medien entnehmen konnte, haben Sie sich dazu entschlossen, Teilen der deutschen Automobilindustrie finanziell unter die Arme zu greifen. Das sind lobenswerte Absichten. Die Arbeitnehmer der Firma Opel werden es Ihnen danken. Natürlich auch die Aktionäre, die nun nicht mehr so stark um ihre Pfründe bangen müssen.
Ebenso konnte ich den Medien entnehmen, dass ihr Kollege Steinbrück beabsichtigt, neue Fahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer für einen gewissen Zeitraum zu befreien.
Ganze Heerscharen des deutschen Volkes sind Ihnen und Herrn Steinbrück zu außerordentlichen Dank verpflichte. Das meine ich ehrlich. Schließlich stehen erst im nächsten Jahr Bundestagswahlen an, bei denen Sie in gewissem Maße auf eine positive Reaktion in Form von Stimmen rechnen können.
Erlauben Sie mir bitte, in diesem Zusammenhang auch auf meine eigene finanzielle Situation hinzuweisen. Die Honorare fließen seit einiger Zeit spärlicher und die Lage kann man als kritisch bezeichnen.
Würden Sie bitte prüfen, ob und unter welchen Umständen es möglich ist, auch mir einen kleinen Obolus zuzuweisen? Ich bin ein bescheidener Mensch und benötige nur ein vergleichsweise geringes Sümmchen. 5.000 € würden fürs Erste reichen. Oder schauen Sie besser nach, ob besagter Obolus nicht auf 7.000 € aufgestockt werden kann. Dann hätte ich eine Sorge weniger und könnte meine Erbtante mit einem kleinen Weihnachtsgeschenk erfreuen. Das wäre sicher kein schlechtes Investment. Die Erbtante steht bereits in ihrem 90. Lebensjahr. Im Falle ihres Ablebens würde ich mich selbstverständlich bei Ihrer Partei  revanchieren. Das ist doch Ehrensache. Eine Hand wäscht die andere, sind für mich keine leeren Worte.
Aber ich will die ganze Angelegenheit nicht an einen bestimmten Betrag festmachen. Schauen Sie einfach nach, welche Summe Sie für einen kleinen Journalisten erübrigen können und überweisen Sie diese auf mein Konto 2622801 bei der Hypovereinsbank Hamburg, BLZ 200 300 00. Notfalls kann ich auch mit einem Scheck leben. Aber bitte mit keinem Scheck dieser windigen Banken, die mit Lehman Brothers Geschäfte gemacht haben.
Ich bitte um wohlwollende Prüfung meines Anliegens. Bitte grüßen Sie auch Norbert Blüm ganz herzlich von mir. Ich kenne ihn noch aus meiner Studentenzeit, als ich gemeinsam mit ihm bei Opel am Fließband gestanden habe.
Mit freundlichen Grüßen