Leicht begonnen – und nicht zerronnen…

Vor einiger Zeit habe ich an einem nationalen Schreibwettbewerb teilgenommen. Drei meiner Texte habe ich zu einer Kurzgeschichte verarbeitet und eingereicht – mit Erfolg: Noch in diesem Sommer, höchstwahrscheinlich im August, erscheint eine Anthologie zum Thema „Großstadt“, und mein Beitrag wird mit von der – in meinen Augen sehr vielversprechenden – Partie sein.

In der Kurzgeschichte geht es um einen zum Teil fiktiven Spaziergang durch mein Berlin. Ich betone mein deshalb, weil das Wort meine persönliche, individuelle Sicht auf die Metropole abbildet. Ich beschreibe meinen Nachhauseweg von meinem Arbeitsplatz in Berlin-Mitte zu dem Stadtteil, in dem ich (noch!) lebe. Der Beitrag trägt den Titel „Berlin, syntehtische Musik und ich“.

Ich habe nicht – oder nicht wirklich – damit gerechnet, dass meine Kurzgeschichte publiziert wird. Umso größer ist jetzt meine Freude – und genau die wollte ich hier öffentlich kundtun. 😉

Liebe will riskiert werden

Bei einer Freundin entdeckte ich nachfolgende Weisheit – aufgeklebt auf eine der Kanten ihres Esstischs in der Küche. Ich würde sie an dieser Stelle gern kommentarlos im Raum stehen lassen, da ihre Aussagekraft nach meinem Empfinden eigentlich auch ohne weitere Worte und explizite Interpretationen enorm ist.

Eigentlich. Vielleicht ja doch ein winzig kleiner Kommentar. Ich kann es mir ja doch nicht verkneifen.

Liebe will riskiert werden. Sie bedeutet, Kompromisse einzugehen. Liebe ist riskant. In einem Gleichnis ausgedrückt: Liebe bedeutet, sich zu öffnen wie einen Rucksack. Dort holt man oft intime Gedanken und Gefühle heraus, die man sonst vielleicht niemandem weiter preisgibt. Man packt sie in einen anderen Rucksack. In den Rucksack des anderen. Wird dieser verschlossen und fortgetragen, muss man erst wieder einen neuen Menschen finden, dessen Rucksack man öffnen kann… Man läuft Gefahr, verletzt zu werden, weil man empfindsamer geworden ist – dem Menschen gegenüber, den man so sehr liebt. Aus diesem Grund haben viele Menschen Angst vor der Liebe.

Aber Liebe ist wunderschön. Liebe bedeutet auch, wenn man – endlich – jemanden gefunden hat, mit dem man nicht nur Freude und Sorgen teilt, sondern im Schneidersitz beieinander hockend gemeinsame Pläne schmiedet. Mit dem man lacht bis zum Umfallen… Wahre Liebe bedeutet für mich im Grunde alles zusammen: freundschaftliche, brüderliche bzw. schwesterliche, väterliche bzw. mütterliche, töchterliche bzw. brüderliche Gefühle – verbunden mit körperlicher Leidenschaft.

Im Zeichen der EM

Vom Vogelgezwitscher auf dem Hinterhof erwacht. Die Sonne lacht, ich auch. Duschen, Kaffee – fertig. Ready for take off. Gut gelaunt schwinge ich mich auf mein dunkelgrünes Kenhill mit seinen grauen Reifen und fahre der Arbeit entgegen. Ein Haufen Touristen und jede Menge streitlustiger Autofahrer erschweren mir meinen rasanten Cross-Stil. Doch dieser Morgen ist zu schön, um sich deswegen zu ärgern.

10.00 Uhr. Morgenkonferenz. Ich betrete nichts Böses ahnend den quadratischen Raum. 30 Augenpaare, die sich auf mich heften – genauer gesagt: auf meine Hose. Ein leuchtendes Orange. „Tolle Farbe“, sagt der Moderator. „Willst Du der Sonne Konkurrenz machen?“, fragt eine Redakteurin. ‚Eigentlich mag ich nur diese Farbe gern – ganz im Gegensatz zu schleimigen Kommentaren‘, sage ich fast. Doch es gelingt mir, mich zurückzuhalten.

Der Kollege, der sonst immer sehr verhalten ist, wirft trocken einen Satz in die Runde. „Sie tippt bestimmt auf Oranje“. Kurzes Schweigen, dann haben es alle gerafft. Die gesamte Belegschaft lacht – und ich bin dem Kollegen dankbar für diesen Einwurf.

Schön schön. Und mein Fazit? Eine Farbe spricht manchmal eben mehr als tausend Worte. Vielleicht sollte ich es tun. Auf Holland tippen. Und mal im Ernst: Vielleicht ist es ja gar nicht so unwahrscheinlich, dass das Land der Tulpen sich den EM-Titel holt. 😉

Du sitzt mir gegenüber …

Inzwischen fahre ich nicht mehr nur mit der Bahn, sondern oft mit dem Auto zur Arbeit. Das eröffnet mir zwei verschiedene Perspektiven: Berlin sehen an der Oberfläche und im Untergrund. Das Zugfahren wird dabei wieder zu etwas Besonderem. Gerade U-Bahnen sind für mich Orte der skurrilsten, witzigsten, denkwürdigsten Begegnungen.

Ich kann mich an den Leuten nicht sattsehen. Manchmal ergeben sich regelrechte Menschenstudien. Egal, was sie tun, egal, wer – oder was – sie sind: Sie bereichern mich, ohne es zu wissen, machen mich dann und wann traurig – oder aber, sie tragen unbewusst zu meiner Erheiterung bei.

Ich betrete die Bahn. Das Abteil ist beinahe leer, denn heute bin ich spät dran. Der werktägliche Morgenandrang ist vorüber. Die Kleidung absolut fusselfrei, perfekt gestylte Frisur und glänzende Schuhe als gebe es kein Morgen: So sitzt er da – mir gegenüber in der U2 – und wackelt mit dem Knie. Ein Geschäftsmann wie aus dem Bilderbuch.

Die Türen schließen sich, wir fahren ab und lassen den Alexanderplatz hinter uns. Männer wie ihn sehe ich täglich über den Potsdamer Platz hetzen und dabei auf ihre Armbanduhren schauen. Vermutlich möchte er auch dort hin. Am Bahnhof Märkisches Museum zieht er ein Buch aus seiner Tasche: Martin Suter. Business Class: Geschichten aus der Welt des Managements. Mir entgleitet unkontrolliert ein Seufzer. Er blickt auf und sieht meinen Ruf des Dschungels von Sabine Kuegler. Desinteressiert wendet er sich wieder seinem Buch zu – ich beobachte ihn beim Lesen. Bahnhof Spittelmarkt.

Ein junger, schlaksiger Kerl von schätzungsweise 16 oder 17 Jahren sitzt in einer Ecke. Man hört das Vibrieren der Bassfrequenzen aus den Kopfhörern schallen, dabei wippt er abwechselnd mit Kopf oder Fuß. Ich tippe auf Hip Hop. Sicher ist er auf dem Weg zu seinem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz: Er trägt einen schmutzigen weißen Arbeitsanzug, auf dem blaue und gelbe Farbflecken zu sehen sind.
Sein Handy klingelt, doch er hört es nicht. Ich versuche, es ihm mit einer Handbewegung zu bedeuten, indem ich Daumen und kleinen Finger abstrecke und sie an mein Ohr halte. Als er mich gestikulieren sieht, entfährt ihm ein „Hä?“. Ich sage ihm, dass er angerufen wird. Mürrisch zieht er sein Handy aus der Tasche und nuschelt hinein. Ich verstehe ihn kaum, doch ich vermute stark, dass sich am anderen Ende seine Freundin befindet. Nach einem genervten „Jaja, bis dann“ drückt er sie weg.

Auf der anderen Seite ihm schräg gegenüber sitzt eine ältere Dame, vermutlich eine Rentnerin mit einer mausgrauen Jacke. Sie trägt ihr Haar in etwa dem gleichen Farbton. Ein kleiner, weißer Pudel hockt brav zwischen ihren Beinen und schaut mich an – genau wie sein Frauchen. Ich bin mir sicher, dass die Dame nach Charlottenburg fahren wird. Vielleicht wird sie am Kranzler-Eck ein Frühstück mit Milchkaffee zu sich nehmen, dann ein bisschen spazieren gehen.
Woher kommt sie? Was hat sie in den Osten der Stadt verschlagen? Ich sinniere und denke mir verschiedene Geschichten aus. Ich entscheide mich dafür, dass sie bei einer alten Freundin übernachtet hat. Wir erreichen den Bahnhof Stadtmitte. Noch zwei Stationen.

Wieder ein Blick zum Geschäftsmann. In dem Moment, wo er gewahr wird, dass ich ihn wieder beobachte, hebt er seinen Kopf. Das ist dann auch der Moment, in dem ich meinen abwende. Ich tue so, als würde ich ihn nicht beobachtet haben. Glück gehabt. Ich war allem Anschein nach überzeugend.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er sich wieder sich selbst zuwendet und in der gegenüberliegenden Fensterscheibe begutachtet. Die Frisur sitzt, er neigt den Kopf etwas nach unten, runzelt dabei die Augenbrauen etwas, dann hebt er den Kopf wieder und zieht eine Schnute. Der Teint ist auch gut ja. Sein Buch verschwindet in der Tasche. Meines auch, denn wir erreichen den Potsdamer Platz. Hier muss ich aussteigen. Der geschniegelte Mann tut es mir nach. Die alte Dame schaut uns nach und streichelt dabei ihren Hund. Der Junge wippt mit dem Fuß und gähnt.

Heimat ist ein Gefühl

Als Kind habe ich an heißen Sommerabenden träumend in einem der zahlreichen Bäume auf unserem Grundstück gehockt und mir ein Leben in freier Wildbahn oder im Dschungel ers(p)onnen. Ich brauchte dazu nur mich selbst. Einen Apfel in der einen, ein Buch in der anderen Hand, glitt ich in Gedanken an robusten Lianen herab, fuhr in einem Kanu auf einem reißenden Fluss oder spielte mit wilden Tieren.

Was für mich eine fantasiereiche Vorstellung war, die ich nur aus Erzählungen kannte, ist für manche Kinder Alltag, zum Beispiel für Sabine Kuegler. Wer gern und oft liest und die Bestsellerlisten verfolgt, kennt ihre Geschichte: Die heute 36-Jährige, die in Nepal geboren wurde, lebte von klein auf mit ihren Eltern (beide Missionare und Sprachforscher) und Geschwistern in West-Papua/Indonesien bei den Fayu, einem damals gerade erst entdeckten Kannibalenvolk, um unter anderem Entwicklungshilfe zu leisten und Frieden zwischen die vier verschiedenen Stämme zu bringen.

In ihrer Autobiographie Dschungelkind beschreibt Sabine Kuegler detailgetreu die Erlebnisse und Erfahrungen aus Kindersicht und ohne politische Stellungnahme, die hier auch absolut fehl am Platz wäre: Sie ist wieder ein kleines Mädchen und spielt mit den Fayu-Kindern, isst Würmer, badet im Fluss mit Krokodilen und sammelt jedes Tierchen, das ihr über den Weg krabbelt. Das kleine Mädchen mit dem strohblonden Haar wächst in unberührter Natur auf und lernt von den Einheimischen, wie man Waffen baut und jagt. Das Wort Angst kennt Sabine nicht. Sie lebt in einem Paradies und genießt ihr Glück fernab jeglicher Zivilisation.

Als sie 17 Jahre alt ist, muss Sabine Kuegler dem Dschungel den Rücken kehren und geht auf ein Internat in der Schweiz. Auslöser für das Verlassen ihrer Heimat ist der Tod eines geliebten Fayu-Freundes. Er war wie ein Bruder für sie, und sie fühlt, dass sie den Bruch mit ihrem derzeitigen Leben wagen muss. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt.

Sabine „zwangszivilisiert“ sich selbst in Europa und erlebt einen Kulturschock. Alles erscheint ihr fremd; sie selbst erscheint als Fremde. Oft schaut man sie an als wäre sie von einem anderen Stern; weil sie andere Gewohnheiten, andere Vorstellungen vom Leben hat. Zu sehr hat sie der Dschungel geprägt, zu tief sitzt die Sehnsucht, wieder dorthin zurückzukehren. Doch sie weiß, dass dies inzwischen kaum mehr möglich ist…

Ich kenne nicht viele Menschen, die ein so lebendiges Strahlen in den Augen haben wie Sabine Kuegler. Bei „Beckmann“ sprach sie 2005 über ihr Leben im Dschungel. Das Leben in der Wildnis sei physisch zwar anstrengender, doch wäre sie dort nie unglücklich gewesen. Die hiesige Zivilisation empfindet Kuegler als psychisch belastender, wenn auch körperlich leichter. Heute lebt sie mit ihren mittlerweile vier Kindern im Norden Deutschlands und schlägt sich tapfer durchs Leben. Doch angekommen ist sie hier nicht.

Bei allem, was Sabine beschreibt, sehe ich sie als kleines Mädchen direkt vor meinen Augen. Ich kann tief eintauchen in das, was sie erlebt und gesehen hat; weil sie es bildhaft darstellt – mit vollem Körpereinsatz und mit viel Herz. Bei jeder Frage, die Beckmann ihr stellt, leuchten ihre hellen Augen auf wie zwei kraftvolle Blitze. Sie lächelt kurz, dann antwortet sie. Und es spielt keine Rolle, ob in ihr schicksalhafte, traurige Erinnerungen wachgerufen werden. Als warmherziger, freundlicher Mensch lächelt sie selbst dann, wenn ein verbaler Schwertstich ihr Herz durchbohrt.

Oft wird Sabine Kuegler gefragt, wie sie es geschafft habe, im Dschungel zu überleben. Für einen kurzen Augenblick verschwindet dann ihr wunderschönes Lächeln, und sie sagt bestimmt, dass für sie der Umkehrschluss zählt: Sie wundert sich, dass sie das moderne Leben hier meistert.

Ich spüre, während ich das Video im Internet sehe, mit jeder Faser das Leid und die Sehnsucht, die sie empfindet und wünsche ihr von Herzen, dass es ihr gelingt, zurück zu sich selbst zu finden – wo auch immer sie sein mag. Denn, wie sagt sie selbst so schön: „Heimat ist ein Gefühl“.
Recht hat sie.

Mein Leben mit Söhnen