An einem Sonntag im November…

… endete – zumindest für dieses Jahr – im Berliner Friedrichstadtpalast eine Revue von Thomas Münstermann mit dem schlichten und dennoch nicht wenig klangvollen Namen Rhythmus Berlin. Es handelte sich sozusagen um die „Saisonderniere“.
(Mein ehemaliger Professor würde mich jetzt, hätte er diesen Begriff statt meiner gebraucht, verschmitzt lächelnd anschauen und eigentlich mehr sich selbst als mich fragen: „Habe ich hier etwa einen neuen Terminus kreiert?“ Ein Jahr nach meinem Abschluss stelle ich gerade fest, dass er mir tatsächlich ein bisschen fehlt.
)
Eine Saisonderniere also, die ich mir nicht entgehen ließ.

Rhythmus Berlin, am 2. März 2007 erstmals aufgeführt, erinnerte mich stark an die Revue Glanzlichter, die im September letztmalig lief. Wieder mit von der Partie – und inzwischen aus Revuen auch nicht mehr wegzudenken – war die berühmte Girlreihe mit noch immer 32 hübschen Mädchen, ihren 64 mehr oder weniger langen Beinen, bunten, kurzen und natürlich hauteng anliegenden Kostümchen – die kleineren Frauen außen, die größeren in der Mitte. Faszination präponierter Applaus: Kaum hatte die Gruppe die Bühne betreten, brach auch schon ein tosender Applaus los, der sich – angesichts soviel geballter weiblicher Attraktivität – mit anerkennenden Pfiffen und bewunderndem Raunen mischte.

Auch das Todesrad mit den Brüdern Ray und Rudy Navas-Velez und ein paar andere Akrobatikeinlagen wurden wieder varieteartig in die Show integriert, doch das Hauptaugenmerk lag auf den Rhythmen – oder präziser: auf einem Rhythmus, der sich aus den verschiedenen facettenreichen Großstadtrhythmen zu einem gewaltigen, explosiven Rhythmus zusammenfassen lässt. Ich vermute, diese Beschreibung liegt in der Intention der Macher. Schade, denn hier hatte ich doch tatsächlich mehr Rhythmus als Performance erwartet.

Wie bei Glanzlichter wurden Effekte, Musik, Tanz und Gesang mit einer jungen „Liebesuchgeschichte“ (erneute – und diesmal weniger indirekte – Grüße an Sie, verehrter Prof. Stein!) verbunden.

Zwei junge Menschen (Besetzung: Nathalie Tineo und Fabrizio Levita), zwei einsame Herzen, begegnen sich während einer Spätvorstellung im Kino, ihre Blicke treffen sich, die Liebe trifft sie wie der Schlag. Doch sie trauen sich nicht, sich aufeinander zuzubewegen. Nach der Vorstellung gehen sie zögernd auseinander. So schnell, wie sie sich begegnet sind, verlieren sie einander auch aus den Augen. Fortan ziehen sie wie in Trance durch die Metropole.

Er – ein attraktiver und erfolgreicher Fotograf, sie – ein schöner und renommierter Star, und doch sind sie beide erfüllt von einer unbestimmten Sehnsucht, die für sie der Start einer – wenn auch nur in Ansätzen erahnten – Bewahrheitung ihrer Träume bedeutet. Auf ihrer Suche nach einander lernen sie außergewöhnliche Charaktere auf Bahnhöfen, in Clubs, Parkanlagen und auf Straßen kennen, doch die gewünschte Begegnung in dem ewig geschäftigen Treiben Berlins bleibt aus. Vorerst…

Für das Genießen dieser Revue ist es nicht notwendig zu erfahren, ob die beiden jungen Menschen zueinander finden werden: Rhythmus Berlin ist nicht nur eine Liebeserklärung eines Mannes an eine Frau und umgekehrt, sondern vielmehr an die einzigartige, „große, neue, alte Stadt Berlin“.

Nicht zuletzt spielt hier die Zeit eine wesentliche Rolle. Immer wieder rückt sie in den Vordergrund des Interesses, wird in Akrobatik-, Tanz- und Gesangsnummern thematisiert – als wesentliches Element der Darstellung der niemals ruhenden, immer hektischen Metropole Berlin.

In der Pause hatte ich kurz das Gefühl, ein ungefähres Déjà-vu zu Glanzlichter, ja wenn nicht sogar ein Déjà-entendu zu erleben. Ein aufwändiges Bühnenbild jagt das nächste, eine beeindruckende Illumination folgt gleich auf eine andere. Für mich war die ganze Show eine geballte Reizüberflutung, doch deshalb keinesfalls sinnlose Effekthascherei. Ästhetisch ohne Frage, doch hätte eine dezentere und gezielter Einsetzung eine weitaus höhere Wirkung auf mich erzielen können.

Dennoch ist die Revue ein Spektakel für Augen, Ohren und Gefühl: Grandios war eine Einlage mit einem kelchartigen Wasserbecken, das gerade zwei Leuten Platz zum darin sitzen bot. Das transparente und bis zum letzten Viertel mit Wasser aufgefüllte Becken war einige Meter unterhalb der Decke mit drei Ketten fixiert. Zwei Künstler boten hierin eine atemberaubend schöne, teilsynchrone und zu Tränen rührende „Liebestaumeltanzperformance“ zu träumerischer Musik dar.

Faszination Friedrichstadtpalast: Einst eine Markthalle, hat er sich inzwischen zu einem wahren „Marktplatz der Sensationen“ entwickelt. Und nicht nur Professor Stein, sondern ganz bestimmt auch Egon-Erwin Kisch, wären jetzt sehr stolz auf mich.

Theater im Blog oder: Wie werde ich glücklich?

In der aktuellen Wochenendausgabe einer meiner Lieblingszeitungen, der Süddeutschen Zeitung nämlich, findet sich ein Artikel mit dem Titel „Kunst oder Leben! – Theater im Blog oder Wie werde ich glücklich?“. Geschrieben hat ihn der Regisseur, Autor und Journalist Rainer Stephan. So weit, so interessant. Ich lese also – und stocke. Lese noch einmal. Denn wer kommt darin vor? Die Coralita. Ich lese weiter – und staune. Vielleicht werde ich sogar ein bisschen rot, wie gut, dass das niemand sieht. Herr Stephan nimmt tatsächlich Bezug auf meinen Blog! Er macht sich das fehlende Interesse am Kulturellen im Allgemeinen – und hier im Speziellen des Theaters – in der Bloggerlandschaft zum Thema. So schreibt er unter anderem:

Über alles, was Menschen aus welchem Grund auch immer interessiert, wird im Internet geredet. Der Umkehrschluss daraus hieße: Worüber in den mittlerweile zahllosen Internet-Blogs nicht geredet wird, interessiert auch keinen Menschen. Das Theater zum Beispiel: Es gibt kaum ein Thema auf der Welt, das in den virtuellen Meinungsaustauschbörsen derart selten auftaucht.

Anschließend kommt er darauf zu sprechen, dass im Grunde niemand mehr Blogeinträge zum Thema Theater zu „würdigen“ weiß und diese ob des Desinteresses unbeachtet – und unkommentiert – lässt. Als Beispiel führt er meine Theaterrezension zum Henrik-Ibsen-Stück Hedda Gabler an. (Über diesen Aspekt hatte ich mir selbst bereits zu anderer Zeit und andernorts Gedanken gemacht. Es ist nicht nur das Theater an sich, sondern es sind auch andere Arten der „älteren Zerstreuung“, die bei den Menschen – damit sind insbesondere die jüngeren gemeint – immer weniger auf Interesse stoßen: Lesen zum Beispiel oder klassische Musik.

Danke, Coralita! Ohne dich wäre das Theater mittlerweile mausetot. Seine Überlebensprognose sieht dennoch ziemlich finster aus.

Ich bin ergriffen, stolz und ein bisschen peinlich berührt sogar. Aber die Freude siegt letztlich, ich bin dankbar.
Nur den von Herrn Stephan angefügten Link zu meinem (alten) Blog gibt es nicht mehr. Wer die Rezension zu Hedda Gabler lesen möchte, kann das jetzt HIER tun. Und wer den vollständigen Artikel von Rainer Stephan unter die Lupe nehmen möchte, klickt bitte auf den Screenshot hier:

Süddeutsche Zeitung vom 20./21. Oktober. Teil: WOCHENENDE, Seite 2

Wenn Dir der Atem stockt…

Vor circa zwei Wochen war ich mit einem Freund im Friedrichstadtpalast. Wir haben uns die – inzwischen leider beendete – Show GLANZLICHTER angeschaut.

Die Reise beginnt in Berlin, weiter geht es zum Broadway ins New York der 20-er Jahre, und im Anschluss findet man sich in Paris wieder und erlebt eine große Revue hautnah mit.

Das jeweils Unverwechselbare, Sehenswerte und Typische der drei tosenden Metropolen wird in Verbindung mit einem grandiosen Farb-, Licht- und Klangspektakel dargestellt, und die drei Städte verschmelzen beinahe „nahtlos“ miteinander und ineinander. Dabei wurde keinesfalls auf eine großzügige und üppige Ausstattung verzichtet… „Pompös“ wäre wohl ein bezeichnendes Wort für die Show.

Jede einzelne der Inszenierungen und jedes Element für sich waren einzigartig anzusehen und haben mich schwer bewegt. Eine grandiose Trapeznummer mit einer attraktiven Aktobatin ließ mich konzentriert und verträumt zugleich sein, zu Tränen gerührt war ich bei dem Lied Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin…, 50 Paar synchron steppende Füße und die typische „Girlreihe“ haben mich staunen lassen, und der Atem stockte mir beim Todesrad.

Im Garten des Exils und im Garten Berlins

Bereits seit geraumer Zeit hatte ich mir vorgenommen, dem Jüdischen Museum in Kreuzberg einen Besuch abzustatten. Ich habe mir sowohl die Dauer- als auch die Sonderausstellung angeschaut und mir dafür etwa drei Stunden Zeit genommen.

Von einigen Dingen – neben all den schrecklichen Fakten, die man hier zu lesen und furchtbaren individuellen Geschichten, die man zu sehen bekommt – haben mich vor allem einige architektonische Anlagen im Libeskind-Bau beeindruckt.
Folgendes Bild zeigt ein paar Stahlplatten in 2D-Gesichtsform aus den so genannten „Voids“, die das Verlorene symbolisieren sollen.

Sie haben mich besonders beeindruckt. Meiner Meinung nach drücken sie einfach „alles“ aus. Man konnte über sie hinweggehen… im wahrsten Sinne des Wortes auf sie treten. Die Geräusche, die dabei entstehen, sind unbeschreiblich. Doch im Grunde ist es, als würde man nach der Trauer irgendwo am Horizont eine seichte Melodie der Hoffnung vernehmen… Dies würde dann allerdings bedeuten, dass hier nicht nur das Verlorene, sondern auch eine ferne Hoffnung dargestellt wird…

Weiterhin gab es im Jüdischen Museum (genauer: im Libeskind-Bau) eine Art Garten zu sehen, der architektonisch so „ungerade“ konstruiert war, dass jedem, der hindurchgeht, tatsächlich schwindelig wird. Ich habe versucht, mich an irgendetwas Gradem zu orientieren, mich gewissermaßen irgendwo festzuhalten, doch es ist mir nicht gelungen. Die Anlage ist um ganze zwölf Grad geneigt, gerade so viel, wie es bedarf, um die sinnliche Wahrnehmung zu täuschen… Das einzig Rechtwinklige war schlicht die quadratische Form der Anlage. Ihr Name: Garten des Exils – nichts für schwache Gemüter. Auf den Seiten des Jüdischen Museums kann man folgendes darüber lesen: „Diese räumliche Erfahrung soll auf das Gefühl von Haltlosigkeit und die mangelnde Orientierung verweisen, welche Emigranten empfanden, die aus Deutschland vertrieben wurden. Aus den Stelen wachsen Ölweiden, die Hoffnung symbolisieren.“

Wer an Klaustrophobie leidet, sollte sich nicht den Holocaust-Turm anschauen, ein etwa 15 Meter hoher Raum, dunkel, mit nur einer schmalen Lichtsäule, die sich dem Himmel entgegenreckt. Es wirkt, als würde sie zu fliehen versuchen …

Im Anschluss war ich mit einem guten Freund am Urbankrankenhaus am Landwehrkanal verabredet. Wir haben im Rasen gelegen, geredet und die Schwäne beobachtet, die von Kindern gefüttert wurden. Ab und zu fuhr ein Rundfahrtschiff vorbei.
Sogar ein Schiff mit Musikanten darauf – ich habe es „Musikkutter“ genannt – zog an uns vorüber, als wir auf einem Schiffscafé saßen.

Am Abend waren wir noch auf einem Konzert im Englischen Garten in Tiergarten, von dem wir vorher gehört hatten. Dort spielte eine African Trance Percussion-Band mit Namen „Senegambigha“. Ein schönes Konzert mit starken Rhythmen. Die Künstler – daraus setzt sich der Name der Band zusammen – stammen aus Senegal, Gambia und Ghana.

ROTA – rotzig frech und leidenschaftlich rotiert

Gerade bin ich zur Tür rein. Gemeinsam mit meiner Freundin Laura habe ich mir die Erfolgsproduktion ROTA der brasilianischen Choreografin und Tänzerin Deborah Colker im Admiralspalast nahe dem Bahnhof Friedrichstraße angeschaut. Sie hat vor 14 Jahren in Rio de Janeiro die Tanzgruppe Companhia de Dança gegründet, die seit damals erfolgreich nicht nur in Brasilien, sondern auch in der Welt erfolgreich auf Tournée ging – und zuletzt ist sie nun noch bis zum 12. August mit ROTA in Berlin unterwegs.

Vorweg: Das Wort „rota“ (gesprochen wird es wie das Spanische „j“ [xota]) stammt aus dem Lateinischen (und somit Portugiesischen) und bedeutet „Rad“. Was es damit auf sich hat? Etwas später.

Colker hat in ROTA klassische Musik und Soundtracks (ich habe sogar Leitmotive aus dem Film „Der Pate“ darin vernommen…) mit pochenden Elektro-Beats , Balletttanzszenen mit heißem Tanz und anmutig schwebende Körper mit frechen, sich bisweilen selbst ohrfeigenden Personen (ein beliebtes Stilelement von Colker) kombiniert.

Das Tanzereignis teilt sich in zwei Häften:
In den ersten 20 Minuten gibt es also moderne Ballettszenen, loungige Beats und freche „Kampf“-Szenen zu sehen, die bisweilen zum Schmunzeln und – sieht man die Künstler sich selbst scheintbar aus dem Stand in 50 Zentimeter Höher katapultierend – zum Staunen anregen.

Nach einer 20-minütigen Pause geht es zunächst sehr konzentriert weiter: Personen kommen im muskulös angespannten Schwebeschritt daher, recken und strecken mit nur scheinbarer Leichtigkeit die Glieder immer wieder in die verschiedensten Richtungen (dies erinnerte mich an Variétékünstler…), bevor am Ende mit einem großen Rad aufgewartet wird und die Tänzer/Performisten gewissermaßen Kopf stehen… Rota – das Rad.

Es hat sich gelohnt dabei zu sein. Laura konnte mein reges Interesse an dieser Show und mein Staunen teilen. Bei einem Bier haben wir uns anschließend noch ein wenig darüber ausgetauscht.

Ich habe an manchen Stellen rote Augen vor Rührung bekommen, so ergriffen war ich auf der einen Seite von der (hinter den Tänzern doch gewiss erahnten) starken Selbstbeherrschung in den langen Trainings/auf der Bühne und auf der anderen Seite der Anmut der Körper…

Mein Leben mit Söhnen