Allein unter „Oldies“

Ich erwarte wirklich das Schlimmste: eng aneinander gedrängte Menschen, grölende Twentys, besoffene Thirtys. Und dabei hätte ich es eigentlich besser wissen müssen: Supertramp kennt nicht jeder – und schon gar nicht in meinem Alter. Als ich ihr am Wochenende von dem bevorstehenden Konzert berichtete, schaute mich eine Freundin fragend an. Und dann: „Wer bitte? Wer ist denn Supertramp?“

Mein Süßer und ich betreten die O2 World Arena. Wir schauen uns um – und dann uns gegenseitig verwirrt an: Sitzplätze, wohin das Auge blickt. Nichts mit Stehen, Gedränge und Gegröle. Freundliche Platzanweiser, keine überlangen Schlangen an den Bier- und Imbissständen. Gediegen. Ja, es geht gediegen zu hier.

Und betrunken scheint auch nur mein ältlicher Sitznachbar zu sein. Jedenfalls riecht er stark nach Bier – oder riecht nach Starkbier. Wie mans nimmt. Seine etwa 40-jährige Freundin hängt mehr in den Sitzen als dass sie sitzt. Oh je. Die haben sich ja mächtig vorgefreut.

Es geht los. Keine Vorband. Ganz nahtlos. Volles Programm auf einen Schlag. Die Musiker sind großartig. Ich bin berührt, kannte ich sie doch bisher nur von CD. Alle sind sie älter als mein Vater, vermute ich. Ich schaue mich genauer um. Was ich sehe, ist faszinierend: Weit und breit kein anderer Mensch um die 20 oder 30.

Und dieses Strahlen in den Augen des Publikums! Woran sie wohl denken? Ich stelle sie mir allesamt abrockend zu Supertramp in den 80ern vor. Das gab bestimmt ein ziemlich cooles Bild ab. Mein Liebster ahnt sicher, woran ich denke und grinst mich an. Vielleicht hat er gerade das Gleiche gedacht.

Die „Oldies“ wippen und klatschen, aber niemand steht auf. Oder traut sich, aufzustehen. Aber ich sehe an ihren Gesichtern, dass sie es ganz unbedingt wollen.
„Det is echt ’ne Schande, dass man jezwungen is, zu sitzen, wa?“ Mein betrunkener Sitznachbar mir zur Linken hibbelt mächtig rum. Bei Take The Long Way Home steht er endlich auf und tanzt los. Wie ein Wilder. Ein paar andere machen es ihm nach. Der Liebste und ich machen mit. Die Musik ist wirklich zu gut, um sie im Sitzen zu genießen.

Mein Sitznachbar pfeift schrill, es geht mir direkt ins Ohr. Ich schaue vielleicht ein bisschen zu mahnend zu ihm rüber.
“Sorry ey. Ick find‘ die so jut. Ick hör die jetz schon seit 30 Jahre. Die Jungs sind einfach so jut! Ick war schon auf 15 Konzerte.” Er strahlt bis über beide Augen. Ja, die glänzen richtig. Ich lächele und pfeife endlich mit. Er schaut beeindruckt. „Na siehte, jeht doch!“

Das Konzert neigt sich dem Ende entgegen. Die “Jungs” verschwinden von der Bühne.
„Wie, wars das schon?“ entfährt es mir.
“Nee”, sagt der Nachbar, als er meine Enttäuschung sieht, “da jeht noch wat. Die ham noch nich Dreamer und Crime Of The Century jespielt. Dit fehlt noch – mindestens!” Ach so. Das beruhigt mich. Ich habe diese Band noch nie live spielen sehen und hören. Einfach stark, was die abliefern. Ich will mehr davon!

Auf Dreamer folgt tatsächlich Crime Of The Century. Aber es bleibt gesittet. Bis zum Ende. Einzig ein paar mehr Leute sind aufgestanden und tanzen.

Und dann beschleicht mich ein klitzekleiner und durchaus nicht unangenehmer Gedanke: Ich finde es gut, kein Bier in den Haaren zu haben und keine Schokolade am Ärmel. Ich glaube, ich bin ein bisschen älter geworden. Und irgendwie liebe ich das.

Handyfoto: SUPER Supertramp

32 Gedanken zu „Allein unter „Oldies““

  1. Hola!

    Zu Kommentar 30:
    „Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt,
    muss halt büßen.“ ;-D
    Passt schon. Ich werde mich zeitnah bemühen. 😉

    (Ganz schön langer Kommentarstrang geworden. 😀

  2. Liebe skryptoria: Was für ein Text! Jetzt wünschte ich, ich hätte Dich mitgenommen.
    Aber in der Tat war es ein ganz beazauberndes Erlebnis. Instrumental sind die Jungs einfach umwerfend. Dann und wann hatte ich eine Gänsehaut, und an mancher Stelle hätte ich auch heulen können. Eben, weil es so toll war. 🙂

  3. Supertramp sind heute in Hannover. Leider habe ich es erst vor wenigen Minuten erfahren. Nachdem ich also meine Zähne wieder aus der Tischkante gezogen hatte, beschloss ich, zum Trost etwas durch die Blogs zu streifen.

    Und nun das.

    Liebe Coralita, weißt Du eigentlich, wie sehr ich Dich um dieses Erlebnis beneide?

    Gönnend, natürlich! Hach, ich wünschte ich wäre Du. Nur für die Zeit bei Supertramp. Ansonsten ist in meinem Leben alles okay. Auch wenn es in diesen Minuten eine leichte Schieflage verkraften muss! ;o))

  4. .. ;-)) .. Heavy. ;-D

    Wie verschickt man eine LP?
    Soll ich die falten oder teilen?? 😉

    Muss mal schauen, wie die Sache läuft.
    Versprochen ist versprochen.
    (Erwarte aber keine Eilpost! ;-D

  5. Hola!

    Auf die Schnelle hab ich die besagte LP (Supertramp) nicht gefunden.
    Die „Rumours“ von Fleetwood Mac schon.
    HIER ist der Foto-Beweis! 😉
    Ist sogar doppelt vorhanden. Wenn Du mir ein Foto von deinem Plattenspieler zeigst,
    schenke ich dir die LP. (Mogeln nicht erlaubt! 😉
    Mein Turntable (Plattenspieler klingt altmodisch 😀 ) hängt nachwievor am Verstärker dran.
    (Was nicht heisst, dass ich regelmäßig Vinyls auflege. 😉

    Bis demnächst. 🙂

  6. Mein liebes AWTchen!

    Abfotografieren! Wie wäre es dann aber mit Schenken? 😀
    Nein nein, keine Sorge. Ein Sammlerstück würde ich wohl meinem ärgsten Feind nicht abluchsen.
    Fleetwood Mac kenne ich auch, höre ich auch dann und wann – inspiriert durch meinen Süßen, der anscheinend Deinen Musikgeschmack hat. 🙂
    Campai! (Oder so.)

    LG schickt Dir Coralita,
    die sich jetzt nach einem einstündigen RUN und dem Hinunterschlucken von gefühlten fünf Litern Orangensagt erstmal erholen und säubern muss. 😎

  7. Hola!

    Irgendwie hab ich dich mit dem Linkverweis in die Irre geführt.
    (Ist dort nicht mehr erkennbar. Knapp 48 – aber Pssssst!! 😉
    Junggebliebener Althippie. ;-D

    Neben Supertramp gabs noch eine Band, die auch sehr originelle Musik machte.
    Wer Supertramp kennt, kennt auch Fleetwood Mac.
    Ihr größter Hit war „Go your own way“ aus dem Album Rumors (’77)
    Hab dazu eine Kostprobe mit HQ-Sound gefunden.
    Vielleicht ja schon mal irgendwo, irgendwann gehört. 😉
    Ich finds einfach absolut mies, wenn solche Hit-Songs von MTV-Zombies gecovert,
    und den Jugendlichen quasi als völlig neue Ware aufgetischt wird.
    (Zusammengewürfelte Riffs und Textpassagen)

    Noch zu deiner Vermutung in Kommentar 17:
    Wenn Du willst, kann ich dir die Original-LP (Vinyl) von Supertramp (Crime of the Century – ’74)
    zusammen mit einer aktuellen Tageszeitung abfotografieren! Ich war/bin Sammler! 😉
    (Mit digitalen Grauzonen-Images hab ich nix am Hut. (Überkreuzte Finger. ;-D

    Sayonara! 🙂

  8. Hallo Maccabros,

    Supertramp ohne Roger Hudgson habe ich immer mit gemischten Gefühlen gesehen […]
    Das ging mir gestern auch so. Ich fands schade, wenn auch sein „Vertreter“ ein durchaus würdiger war. Hat er gut gemacht, und dennoch ist es nicht mehr Dasselbe.

    Music was my first love and it will be my last…
    Dieses Zitat geht mir immer wieder unter die Haut …

    Gruß zurück,
    Coralita

  9. Hier gehts ja (inzwischen) zu wie auf’m Jahrmarkt. ;-D
    Zu Kommentar -17- :
    Wenn dich mein Alter interessiert,
    dann klick in meinem Blog auf den Phantakuschi-Link
    und hinterher auf „Profil“. 😉
    (Ein halbes Jahrhundert ist bald geschafft.)
    Hitz&Schwitz-Attacken machen mir hin-u.wieder zu schaffen.
    (Wahrscheinlich die Wechseljahre. Wer weiß… ;-))

    Da hast Du ja noch ein bisserl Zeit.
    (Aber die Schlupflider, Pausbäckchen und Besenreiser werden
    auch dich nicht verschonen! ;-D

  10. Supertramp ohne Roger Hudgson habe ich immer mit gemischten Gefühlen gesehen, auch wen einige Songs von beiden, oder einige von Rick Davies gesungen wurden. Davon abgesehen gibt es da bestimmte Lieder, die ich unbefangen als ZEITLOS bezeichnen würde – sei es Dreamer, Breakfast in America, THe Logical Song oder School.
    Im Konzert habe ich Supertramp nie erlebt, ich besitze nur die alte Lifescheibe aus Paris.
    Alt oder älter?
    Music was my first love and it will be my last…

    Gruß,

    Maccabros

  11. AWTchen: Wie alt bist Du eigentlich? Zählst Du Dich selbst schon zu den „Senioren“? 😉
    Selbstverständlich verfüge ich über alle Alben von Supertramp.
    Ja, und selbstverständlich hast Du auch alle ganz legal erworben. 🙂
    (Die unverwechselbare Kopfstimme von Roger Hodgson bleibt hängen.)
    Oooooh ja … Schade, dass er nicht mehr mit von der Partie/Party ist. 🙁

    Ich hab die Band irgendwann in den 80ern auf einem Open-Air live miterlebt.
    Wow, da war ich irgendwie so um die 0 bis 10 Jahre alt. Kommt ganz drauf an, wann in den 80ern das war. 😉

    Mit dem Nuller/2010er-Sound kann ich so gut wie nichts mehr anfangen.
    (“Negermusik”-Effekt 😉 Gesampelte 1000-Spuren-Kakophonie.

    Oh, das ist jetzt aber echt eine krasse Anmerkung: Ich kann mich total damit identifizieren! :-O

    Der Teufel trägt Nada. 🙂
    => Und hier habe ich zum ersten Mal an diesem Tag so richtig schallend gelacht! Danke dafür!
    😉

  12. Hatte es GRADE mit meinem Friseur darüber. Man wird (obwohl erst 22) doch etwas Reifer und muss nicht mehr Schweiß – und Biergebadet nach Hause kommen. Egal wo man war. Und das ist okay!

    Piespige Grüße
    Sumit

  13. Hola!

    Ich finds äusserst mutig, dass Du solche Senioren-Konzerte besuchst. ;-D
    Selbstverständlich verfüge ich über alle Alben von Supertramp.
    „Crime of the Century“ (’74) und „Breakfast in America (’79)
    sind aus meiner Sicht unvergängliche Meisterwerke.
    (Die unverwechselbare Kopfstimme von Roger Hodgson bleibt hängen.)
    Ich hab die Band irgendwann in den 80ern auf einem Open-Air live miterlebt.
    Den Text von „School“ kann ich immer noch auswendig mitjaulen. 😉
    Besonders beliebt war die Musik auch in der Kifferszene.
    In den 80ern traf man sich zu Partyraum-Happenings, saß auf dem Boden,
    trank Tee, umgeben von Räucherstäbchen-u.Ganjaschwaden und hörte
    mitunter auch Supertramp. (Ich werd gleich sentimental. ;-D

    Mit dem Nuller/2010er-Sound kann ich so gut wie nichts mehr anfangen.
    („Negermusik“-Effekt 😉 Gesampelte 1000-Spuren-Kakophonie.

    Übrigens:
    Der Teufel trägt Nada. 🙂

  14. Da wär ich gern dabei gewesen. Hörma kind, nur weil einer Supertramp hört und / oder über 40 is isser noch lang kein Oldie! Von uns könnt ihr jungen Hüpper noch was lernen, z.B. nen juten Musikjeschmack!

  15. Die Bühnenzeit ist eigentlich lange vobei. Zu Bandzeiten ganz am Anfang gab es das mal vereinzelt in kleineren Läden oder im privaten Bereich, aber mittlerweile bin ich ja auf Solopfaden. Und alleine auftreten mit einem Playalong aus der Konserve ist nicht mein Ding.
    Eigentlich bräuchte ich Session-Musiker für dieses Projekt, aber die müßte ich bezahlen – was wegen chronischer Pleite nicht geht.

    Aber mal schauen, bei mir ändert sich gerade wieder mal ziemlich viel, vielleicht ergibt sich was.
    Wäre bestimmt lustig, wenn anstatt eines Schlagzeuges die ganzen Blechdosen und Metallfässer auf der Bühne aufgebaut werden. DAS Gesicht des Veranstalters ist bestimmt sehenswert *lol*

  16. Danke fürs Daumendrücken!
    TT ist normalerweise nicht sehr bürokratisch – aber die Erkältungswelle könnte für Verzögerung gesorgt haben. Ich freu mich schon auf deine Hallo-hier-bin-ich-Mail 🙂

  17. Abidi: Schade, dass die Pfalz so weit weg ist. Ich drück euch die Daumen!
    Zum Thema TT: Doch, ich habe mich bereits dort angemeldet und auch eine Bestätigung erhalten.
    Vielleicht dauert dort auch alles seinen bürokratische Zeit. ;-))
    LG, Coralita

  18. Nein, in zwei Chören. Und ja, nicht in Berlin … Falls es dich bald in die Pfalz verschlägt: Nächsts Konzert ist am 13. November 🙂

    Ach übrigens – was macht deine TT-Anmeldung? Hab dich noch immer nicht auf der Mitgliederliste gefunden …

  19. SUPERTRAMP! Wie klasse ist das denn! Da wär ich auch gerne dabeigewesen (sehr gerne auch ohne Bier und Schoko im Haar, aber ich bin ja auch im entsprechend „gesitteten“ Alter). Übrigens gehören Supertramp-Titel demnächst auch zu unserem Chor-Repertoire. Ich hoffe, das Publikum wird uns immerhin „janz jut“ finden 🙂

  20. Hi Broken Spirits,

    ja, das hat was Melancholisches … da hast Du recht …
    Ansonsten: Du stehst doch eher AUF der Bühne, nicht wahr? 🙂
    Ich stand auch mal auf Bühnen. Aber das ist schon sooo lange her. Über zehn Jahre. Klavier und Gesang. Ich hatte zu Schulzeiten sogar meinen eigenen Backgroundchor. *gg*
    War ne „geile“ Zeit. Aufregend. Hach ja … 😉
    Wie oft trittst Du auf?

    LG,
    Coralita

  21. Ist mir mittlerweile auch lieber, wenn es eher „gesittet“ zugeht.
    Sollte man wohl noch genießen, solange es geht… ich frage mich manchmal, ob es in dreißig Jahren sowas überhaupt noch gibt oder ob ein Satz wie “ Ick hör die jetz schon seit 30 Jahre.“ dann noch fallen wird?
    Die Bands von heute werden ja gepusht und gleich wieder vergessen.
    Irgendwie schade…

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