Archiv der Kategorie: Begegnungen

„Ich war Hitlerjunge Salomon“

Berge/Bersenbrück. „Du sollst leben!“ hatte seine Mutter dem damals 14-Jährigen beim Abschied gesagt. Es habe eher wie ein Befehl als wie ein Wunsch geklungen. Sally Perel, heute 86 Jahre alt, ist inzwischen in aller Welt als „Hitlerjunge Salomon“ bekannt.

In der Sporthalle der Haupt- und Realschule Berge erzählte der Jude im Rahmen einer Lesereise aus seinem bewegten und bewegenden Leben zur Zeit des Nationalsozialismus. Es ist Montag, der erste Tag seiner Reise, doch bereits sein zweiter Vortrag: Vorher war er am Gymnasium Bersenbrück zu Gast. Im April 1925 in Peine/Niedersachsen geboren, erlebte Perel die ersten zehn Jahre seiner Kindheit als äußerst glücklich. „Es war die schönste Zeit in meinem Leben.“ Eines Tages wird Sally zum Direktor gerufen und mit den Worten „Juden haben hier nichts mehr zu suchen“ der Schule verwiesen. Das habe ihn damals tief getroffen und in seinen Grundfesten erschüttert, sagt der sympathische Mann traurig, denn er sei gern zur Schule gegangen.

Als die Geschäfte der Juden in Peine zerstört werden, darunter auch das Schuhgeschäft der Eltern, zieht die Familie 1938 nach Lódz in Polen. Doch nach dem Einfall der deutschen Wehrmacht schicken Perels Eltern ihn und seinen älteren Bruder Isaak fort, sie sollen sich nach Russland durchschlagen. „Du sollst leben! Diese Worte werden bis zu meinem letzten Atemzug in mir nachhallen“, sagt Sally Perel mit geröteten Augen. „Meine Mutter hat mir das Leben gerettet, und wann immer ich in Gefahr war, habe ich an sie gedacht.“ Er nahm diese drei Worte als Verpflichtung zu überleben – sich selbst und seinen Eltern gegenüber. „Vergiss niemals, wer du bist“, gab sein Vater noch mit auf den Weg.

In den Wirren des Krieges von seinem Bruder Isaak getrennt, schlägt sich Sally Perel bis in den russischen Teil Polens durch. Dort wird er von der Wehrmacht aufgegriffen. Perel behauptet, ein von den Bolschewiken verschleppter Volksdeutscher zu sein. Diese spontane Geistesgegenwart rettet dem Jungen das Leben, man glaubt ihm sofort. Unter dem Namen Josef „Jupp“ Perjell kämpft er an der Front, ist deutsch-russischer Dolmetscher. Später wird Perel an der HJ-Schule in Braunschweig angemeldet, wo er einige Jahre bleibt. Er beginnt, sich mit der Nazi-Ideologie zu identifizieren. „Ein jugendliches Hirn kann man schnell vergiften“, weiß Sally Perel und schaut die 14- bis 16-jährigen Jugendlichen eindringlich an. Seine Tarnung fliegt bis zum Kriegsende nicht auf. Doch die Angst sitzt tief, ständig muss er darauf achten, dass seine Identität nicht auffliegt, dass man seine Beschneidung nicht bemerkt. Noch heute schrecke er aus Albträumen auf. „Jeden Tag – 24 Stunden am Tag – in Furcht zu leben, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie das ist“, sagt er zu den in der Sporthalle versammelten Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren. Die sind sichtlich betroffen.

1992 erschien Sally Perels Autobiografie „Ich war Hitlerjunge Salomon“. Erst 40 Jahre nach dem Krieg begann er mit dem Schreiben. „Ich habe lange gebraucht, um das Erlebte aufzuarbeiten“, antwortet er in leisem Tonfall. Das Buch wurde nicht nur weltbekannt, es wurde auch verfilmt. Die Schüler in Berge haben es gelesen, manche haben auch schon den Film gesehen. Staunend und berührt, einige sogar mit geröteten Augen, sitzen sie da, als Sally Perel aufhört zu reden. Im Anschluss stellen sie Fragen. Viele Fragen – voll Beklemmung und Interesse.

„Wenn ich es schaffe, auch nur einen jungen Menschen hier zu erreichen, dann hat sich mein Besuch gelohnt“, sagt der sympathische Sally Perel, der heute in Israel lebt. „Hitler wurde damals zwar besiegt, geistig aber leider noch lange nicht.“ Und dann stürmen die Schüler los, um sich ihr Buch oder ihre DVD signieren zu lassen.

(c) Erschienen im Bersenbrücker Kreisblatt.

Sally Perel spricht in der Haupt- und Realschule Berge.

Begehrtes Autogramm: Sally Perel signierte in Berge für zahlreiche Schüler seine Autobiografie.

„Dahinter steckt mehr, als man denkt“

Quakenbrück/Berge/Bersenbrück. „Ich gehöre bald schon zum Inventar“, lacht Johanne Treu. Die fast 90 Jahre alte Rentnerin ist ehrenamtliche Mitarbeiterin im Stadtmuseum Quakenbrück. Man merkt der agilen Frau mit den wachen Augen ihr Alter überhaupt nicht an.

Kein Wunder, denn Johanne Treu ist ständig auf den Beinen: „Es gibt hier immer etwas zu tun“, sagt sie und lächelt. „Wir brauchen auch noch viel mehr Mitarbeiter.“ Und dann schaut sie ein bisschen traurig. „Schade, dass heute nur noch so wenig Menschen ins Museum gehen, es gibt doch so viel zu sehen.“

Am Sonntag war das anders: Anlässlich des Internationalen Museumstages 2011 waren etliche Besucher in den Museen des Landkreises Osnabrück unterwegs. Drei Einrichtungen gewährten in enger Zusammenarbeit Einblicke in ihr tägliches Schaffen und ermunterten Besucher, ihre Schätze zu erkunden: das Stadtmuseum Quakenbrück, das Museum des Landkreises Osnabrück in Bersenbrück und das Museum Meyer-Haus in Berge. Im Rahmen des seit Anfang 2010 bestehenden Projekts „Sammlungen der Museen im Landkreis Osnabrück Digitalisierung – Qualifizierung – Profilierung“ konnten Besucher einen Tag lang Museumsarbeiter spielen und erfahren, was Inventarisierung bedeutet.

Schätze zu erkunden

Das Projekt wird vom Heimatbund Osnabrücker Land und dem Kreisheimatbund Bersenbrück getragen. Seit etwa einem Jahr sind zwanzig Museen dabei, ihre Objekte mithilfe eines Inventarisierungsprogramms zu digitalisieren. In Quakenbrück klärten Museumsleiter Heinrich Böning und Archivar Ernst Walter darüber auf, wie Objekte ins Museum gelangen und wie sie anschließend archiviert werden. „Zunächst werden Höhe, Durchmesser und Material ausgemessen, es wird festgestellt, was es ist“, erklärt Ernst Walter. Diese Informationen werden dann auf Datenblättern eingetragen und dann in einer Museumssoftware erfasst. „Das erleichtert uns die Arbeit ungemein.“

„Die Leute wissen meist gar nicht, wie wir im Museum arbeiten“, sagt Nikola Berding. Die Volontärin beim Museum des Landkreises Osnabrück in Bersenbrück zeigte Besuchern bei Kaffee, Kuchen und Rotwein, wie man ausgewählte Museumsgegenstände in der Objektdatenbank findet. Am Abend heizte die Band „The Watsons“ den Besuchern musikalisch ein.

Ein breites Spektrum

Museumsrundgang einmal anders – das war das Motto in Berge. Im MeyerHaus konnten Besucher ausgesuchte Museumsgegenstände mithilfe von Datenblättern im Museum wiederfinden. Etliche nahmen dieses Angebot an. „Das ist gar nicht so einfach“, seufzte ein Gast. „Da steckt viel mehr dahinter, als man sich vorher so denkt.“ Das findet auch Nikola Berding. „Heute haben wir die Gelegenheit, unser Tun zu würdigen.“ Und das ist auch das Ziel des im Jahr 1977 ins Leben gerufenen Internationalen Museumstages: auf die Themenvielfalt der Museen aufmerksam zu machen und das breite Spektrum ihrer Arbeit vorzustellen. Der Eintritt in allen drei Museen war frei.

Johanne Treu führte die Gäste im Stadtmuseum Quakenbrück herum

Erschienen im Bersenbrücker Kreisblatt am 17.05.2011

Was zählt, sind die Vibes

Restrup. „Es kommt auf die Vibes an“, antwortet Gitarrist und Sänger Marcus Bruns auf die Frage, was der Band bei ihren Konzerten am wichtigsten sei. Es komme gar nicht so sehr darauf an, ob man stets den richtigen Ton treffe oder der Gesang zu einhundert Prozent astrein sei. Und dann grinst der sympathische Heavy-Metal-Fan und Gründer der Band mit den rotblonden Locken.
Der Theatersaal der Compagnia Buffo füllt sich – Voraussetzung für einen gelungenen Abend. Der Kulturverein Li.F.T. hat eingeladen. Schon einmal sind die Groovin‘ Goblins hier gewesen. 2003 war das, und sie hatten den Rock-in-der-Region-Vorentscheid gewonnen. Seitdem kennt und liebt man die Band hier.

Groovin‘ Goblins, die „groovenden Kobolde.“ Aber warum eigentlich Kobolde? Der Name zur Band sei in Anlehnung an ein ehemaliges Computerspiel aus den 80er-Jahren entstanden. Außerdem sei ein Großteil der Band nicht besondes hoch gewachsen, erklärt Marcus Bruns mit schelmischem Blick.

Ein paar Schläge mit den Drumsticks, dann geht es los. Womit die Kobolde da aufwarten, ist großartig: Es ist ein schwer definierbarer, aber gelungener Mix aus den musikalischen Stilrichtungen Reggae, Ska und Funk. Manchmal sogar vermischt mit Elementen aus dem Death Metal. Die Grenzen der Musikrichtungen verschwimmen. „Wir kommen alle aus unterschiedlichen Musikecken. So kam dieser Stilmix zustande“, erzählt Marcus Bruns. Alle Songs entstammen der Feder der Goblins. „Musikalische Vorbilder haben wir nicht. Wir ziehen unser eigenes Ding durch“, betont Schlagzeuger Gerrit Achilles. Die Band habe nie versucht, auf Biegen und Brechen etwas Neues zu kreieren. Marcus Bruns bestätigt das: „Versuche nie, Dir etwas auszudenken, was es noch nicht gibt. Es kommt eher darauf an, das Vorhandene zu verbessern.“
Das Motto der Goblins, die sich im Jahr 2003 gegründet haben: Erlaubt ist alles, was „uns und dem Publikum“ Spaß macht. „Wenn es bei den Leuten ankommt, kommt es bei uns doppelt an“, sagt der sympathische Schlagzeuger, der „Skater“. Warum dieser Name? Skaten ist eines seiner Hobbys, die Band seine Leidenschaft: „Mir würde ein großer Teil in meinem Leben fehlen, wäre ich nicht mehr Bandmitglied.“

Diese Leidenschaft für die Musik und die Band hört man den Jungs und dem einzigen Mädel aus dem Osnabrücker Land an: Unweigerlich muss man tanzen oder doch zumindest mit dem Kopf oder Fuß wippen. Und sie selbst tun es auch mit Freuden, die elf „groovenden Kobolde“ im Alter von 20 bis 50 Jahren. Auch auf der Bühne wird abgetanzt. Allein die Sektion aus fünf Bläsern heizt den Zuhörern mächtig ein. Keyboard, E-Gitarre, Schlagzeug und nicht zuletzt Sänger Tim Rehwinkel mischen kräftig mit und geben dem begeisterten Publikum den musikalischen Rest. Eine Frau mittleren Alters gibt sich ganz den Vibes hin. Mit geschlossenen Augen vergisst sie tanzend die Welt. Ein wirklich schönes Bild. Beim Singen schließt auch Tim Rehwinkel manchmal die Augen. Er verzieht leidenschaftlich das Gesicht, so als würde er eins werden mit den Beats. Dann öffnet er wieder die Augen und hat ein charmantes Lächeln für das Publikum übrig.

Nach dem zweistündigen Programm neigt sich der Abend nach mehreren Zugaben so langsam seinem Ende entgegen. Gern hätte man noch mehr gehört von den Groovin‘ Goblins. Wer das möchte, hat dazu am 13. Mai im Osnabrücker Glanz und Gloria die Gelegenheit.

Heizten ihrem Publikum mächtig ein: die Groovin‘ Goblins

(c) Dieser Artikel ist am 11. Mai 2011 im Bersenbrücker Kreisblatt erschienen.

Anders essen: Tischkultur mit Augenzwinkern

Badbergen. Es ist Freitagabend, kurz nach 18.00 Uhr. Michael Schürkamp alias Butler James steht im Korridor des Artland Festsaals und erwartet sein Publikum. Er trägt weiße Handschuhe und ist auch sonst piekfein gekleidet. Gleich wird es etwas zu essen, zu lernen und zu lachen geben. So zumindest hat James es im Vorfeld des Comedy-Knigge-Dinners versprochen. Und tatsächlich: Bereits den Aperitif serviert der sympathische Künstler mit einer gehörigen Prise Humor. Nachdem der stocksteif wirkende James alle Gäste persönlich begrüßt hat, lässt er ein helles Glöckchen erklingen. „Dieser Klang wird Ihnen den Stress des Alltags nehmen“, so seine Begrüßung. Dabei schaut er den Leuten mit einem beruhigenden Blick tief in die Augen. Und es funktioniert: Eine Dame in flotter Abendkleidung lässt die Schultern etwas sinken, entspannt sich. Ein eleganter Herr lächelt. Dann vergibt der smarte Butler seinen Gästen Fantasietitel wie „Diplom-Psychologin für bindungsunfähige Paarberater“ oder „Vizegräfin mit international anerkannter Pelzmantelsammlung“. Nicht zu vergessen der Förster mit Hochsitzphobie. Wer will, kann an diesem Abend in eine andere Rolle schlüpfen, eine völlig andere Persönlichkeit sein.

Im Empfangsbereich begrüßt die Geschäftsführerin des Artland Festsaals, Cornelia Riedel, die Gäste herzlich mit einem Handschlag.
Bevor James die Gäste zu Tisch geleitet, hält er sie bei einem Glas Sekt oder Orangensaft dazu an, mit einem fremden Gesprächspartner Konversation zu betreiben. Gar nicht so einfach: Scheue Seitenblicke, verlegenes Grinsen. Doch dann trauen sich die ersten – das Eis ist schnell gebrochen.

Zwischen den vier Gängen des festlichen Menüs – darunter eine schmackhafte Karotten-Ingwersuppe und Schweinemedallions an Morchelsauce – gibt James wertvolle Tipps, wie man sich bei Tisch richtig verhält. Er lässt die etwa 40 Gäste ein Kniggequiz lösen, das es in sich hat. Man kniffelt hochkonzentriert. Und bei der Auflösung erfährt man, dass zu einem Button-Down-Hemd auf gar keinen Fall eine Krawatte getragen wird, und dass Adolf Freiherr von Knigge ursprünglich gar kein Benimmlehrer, sondern Schriftsteller war.
Doch nicht nur als niveauvoll konversierender „Pinguin“ macht Butler James eine gute Figur. Er ist auch Bauchredner und lässt stilvolle Handpuppen zu Wort kommen. So plaudert etwa der temperamentvolle Italiener Enrico über Kaffeespezialitäten, während der gewitzte Russe Igor erklärt, wie man am besten Geschäfte macht. Lachen, Staunen, Klatschen: Bei den Zuschauern kommt die Show richtig gut an.

Es sei nicht wichtig, übertrieben „manieriert“ zu sein oder zu wissen, wie man Besteck richtig benutzt, betont Michael Schürkamp, der sich selbst als „Mundwerker“ bezeichnet. Viel wichtiger sei es, im Umgang mit anderen Menschen respektvoll und höflich zu sein. Auch privat legt der studierte Comedien großen Wert auf gewisse Benimmregeln. „Ich finde nicht gut, wenn jemand einfach so seine Serviette auf den Teller knallt“, sagt Michael Schürkamp. „Und ich mag Warten nicht.“ Deshalb sei er selbst auch ein pünktlicher Mensch. Seine Devise: Mit Humor, Respekt und der Fähigkeit, auch einmal über sich selbst lachen zu können, „sind wir doch für fast alle Situationen bestens gerüstet.“ Gegen 23.00 Uhr ist der Abend vorbei – ein Ereignis oder besser: eine leidenschaftliche Hommage an ein gutes Miteinander.

Sprechen über italienische Kaffeespezialitäten: Enrico und Butler James

Butler James sorgt für Spaß und so manchen Lacher

Mein Artikel im Bersenbrücker Kreisblatt – erschienen am 10.05.2011


In einer Welt der Fantasien und Träume

„Wo kann man hier Süßes kaufen?“, fragt mich Ihno Tjark Folkerts am Rande des musikalischen Schauspiels, das gleich in der St.-Sylvester-Kirche in Quakenbrück stattfindet. Ich weise dem Geigenvirtuosen den Weg zum nächstgelegenen Supermarkt in der Innenstadt. Süßes spielt beim Trio LiMUSiN eine entscheidende Rolle: Jeder Zuschauer bekommt beim Einlass einen Schokoriegel gratis. So ist es Tradition. Es ist Freitag, Viertel vor sieben am Abend, die Kirche ist noch leer. Die letzten Vorbereitungen laufen. Gegen 20.00 Uhr geht es los.

„Phantastische Geschichten“ ist der Titel des neuen Frühjahrs- und Sommer-Programms, einer Kombination aus klassischen literarischen Werken und ebenfalls klassischer Kammermusik. Neben kürzeren Stücken von Tschaikowsky, Strauss und Bach präsentiert das Trio wichtige Komponisten des Rokoko: F. A. Hoffmeister, H.A. Hoffmann und F. Fiorillo.
Ich frage Ihno Tjark Folkerts, warum das Trio Quakenbrück gewählt hat. „Es ist
ein liebenswertes, kleines Städtchen“, sagt der große Mann, der in London und Freiburg im Breisgau Violine studiert hat. Außerdem sei die Kirche bestens geeignet für eine Aufführung. Cellist Suren Anisonyan und Schauspieler Benedikt Vermeer nicken. Die Künstler kennen Quakenbrück schon: Im Dezember 2010 waren sie hier mit Charles Dickens‘ „Scrooge!“ zu Gast.

Benedikt Vermeer hat den literarischen Hut auf beim Trio LiMUSiN. Es gebe nur wenige Ensembles, die seit zehn Jahren in dieser Konstellation auf Tour sind, erzählt er. Kammermusik mit klassischen literarischen Werken zu verbinden, sei einzigartig. Vermeer, der in England und in Ottersberg studiert hat, hat eine sonore, eindringliche Stimme, die viel verheißt.

Kurz nach 20.00 Uhr gehen die Lichter aus im Kirchenschiff. Nur die Bühne mit ihrer in schwarzen und goldenen Farbtönen gehaltenen Kulisse ist noch beleuchtet. Drei Stühle, ein Tischchen mit einer Tontasse, ein paar Kerzen. Eine romantische, aber auch schaurige Athmosphäre. Los geht es mit dem Duo Nr. 3 A-Dur op. 5/3 und E.T.A. Hoffmanns „Lasset uns phantasieren!“ In den folgenden eineinhalb Stunden sind urkomische, dann wieder melodramatische oder gar bedrohliche Laute und Klänge zu hören. Das Trio nimmt die Zuschauer mit in eine Welt der Fantasien, höheren Welten und Träume.
In den Gesichtern des Musiker-Duos stehen Ausdruck und Leidenschaft. Suren Anisonyan, der am Staatlichen Komitas-Konservatorium in Armenien studiert hat, trägt eine Sonnenbrille. Erst später nimmt er sie wieder ab. Sie lässt ihn kühl, aber auch undurchdringlich wirken.

„Das kann ja heiter werden“ lautet der Untertitel des Programms. Und das ist es auch, aber nicht nur. Bei Edgar Allan Poes magischem Poem „Der Rabe“ lehrt das Trio seine Zuschauer das Fürchten. Das Gesicht von Benedikt Vermeer ist jetzt dunkelrot angeleuchtet, die Augenhöhlen liegen tief im Schatten. Seine raumfüllende Stimme und das Krächzen der Streichinstrumente bei „Nim-mer-mehr!“ hallen durch die Kirche. Die etwa 50 Zuschauer sitzen aufrecht und gebannt in den Bänken.
„Das waren schon als Kind meine Lieblingsgeschichten. ‚Der Rabe‘ und ‚Der Sandmann‘ haben mich schon immer interessiert“, schwärmt der Schauspieler. Auch Ringelnatz und Puschkin erklingen, Gedichte und Szenen von Wilhelm Busch und Ludwig Thoma. ”Ein Münchner im Himmel“, mit original bayrischem Dialekt, sorgt für Vergnügen.
In der Pause gibt es Saft, Wasser und Rotwein. Auch das ist Tradition beim Trio LiMUSiN.
Dass sich die „Phantastischen Geschichten“ mit „ph“ schreiben sei kein Protest gegen die Rechtschreibreform. Es sei ein Zeichen, „dass wir sowohl textlich als auch musikalisch auf den Reiz ‚alter‘, zum Teil vergessener Werke zurückfassen und sie mit neuem Leben füllen“, so die Musiker.

Im Jahr 2002 lernten sich die drei kennen und gründeten sogleich das Trio LiMUSiN. „Bei einem gemeinsam gestalteten Themenabend rund um einen Kurzfilm hatten wir die Idee, virtuose Kammermusik und rezitierendes Schauspiel zusammenzubringen“, so die Künstler. Mittlerweile hat das Trio ein Repertoire aus elf abendfüllenden Programmen auf die Beine gestellt.

Zwei Zugaben am Ende des Abends. Dann geht das Licht im Kirchenschiff wieder an. Viele Zuschauer bleiben noch sitzen. Vielleicht, um das Erlebte noch ein bisschen auf sich wirken zu lassen.

>> Dieser Artikel ist auch hier sowie in der Printausgabe erschienen.