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Der Orkan im Wasserglas

Alle Welt redet derzeit vom großen, bösen Wulff. Es wird ein richiger Orkan daraus gemacht. Zu recht oder zu unrecht? Da scheiden sich die Geister, Politiker, Medien und anderen Wesen. Ich selbst würde daraus vielleicht eher einen Sturm machen, einen Sturm im Wasserglas. Aber darunter? Darunter würde ich dann doch nicht gehen. Denn ein Kavaliersdelikt ist das nicht, was der liebe Christian da so alles verzapft hat. Dennoch denke ich: Es gibt doch wirklich Schlimmeres. Warum beschäftigt sich das Land nicht mit wichtigeren Dingen?

Was mich als Sprachwissenschaftlerin (die ich ja auch bin) im Augenblick viel mehr interessiert, ist der sprichwörtliche Sturm im Wasserglas. Die Redewendung bezieht sich ja bekanntermaßen auf ein Ereignis, um das man ein großes Trara macht. Sie geht zurück auf Charles de Montesquieu. Der französische Schriftsteller beschrieb im 18. Jahrhundert die politischen Unruhen in San Marino in Honoré de Balzacs Erzählung „Der Pfarrer von Tours“ als (frei übersetzt) „einen Sturm im Wasserglas“. In Deutschland wurde der Ausdruck 1930 durch eine gleichnamige Komödie des Schriftstellers Bruno Frank bekannt.

Aber letztlich ist es ganz egal, worum es sich handelt: um einen Orkan oder einen Sturm. Das Wasserglas wird wohl noch eine ganze Weile vibrieren in der Affäre Wulff.

Die lobe ich mir: Stilvolle Gläser. So ganz ohne Wirbelsturm oder Orkan – und vielleicht mit einem edlen Tropfen darin.

Leg einen Zahn zu!

Die Sonne scheint ganz wunderbar an diesem Herbsttag im Oktober. So lässt sich ein Tag doch prima an. Ich bin gerade dabei, eine Reisereportage zu beenden.  Zufrieden klicke ich auf das Symbol mit der Diskette. Fertig!

Aber was ist das? Der Speichervorgang dauert irgendwie länger an, als er normalerweise tut. Oh, wahrlich: Das ist nichts für ungeduldige Menschen. „Geduld ist eine Tugend“, brabbele ich vor mich hin und wackele mit dem Knie. “ Geduld ist eine Tugend, die ich nicht habe!“ Ich meckere vor mich hin.  „Mann! Leg doch mal einen Zahn zu, Du lahme Kiste!“ Sogleich entschuldige ich mich bei meinem treuen Arbeitsgerät und streichele es sanft. Das muss doch Glück bringen.

Dann halte ich inne und lasse den Rechner einfach mal machen. Einen Zahn zulegen.  Eigentlich klingt das seltsam. Irgendwie doof auch. Warum sollte sich ein Computer Zähne zulegen? Ein Rechner mit Gebiss, irgendwie hat das was. Ich stelle mir vor, wie ich in dieses eine CD schiebt … Haha! Ich lache laut auf. Und dann recherchiere ich (hurra, es lebe das Smartphone!), weil es mich jetzt doch interessiert, woher diese merkwürdige Redewendung stammt.

Aha: Die Phrase geht auf das Mittelalter zurück. Warum war mir das klar? Damals kochten die Frauen in den Küchen ja über offenem Feuer. Herde gab es ja noch nicht. Der Wärmeregulierung diente damals ein so genanntes „Kräuel“, das über dem Feuer hing. Das war ein Gerät aus Metallstreifen mit Zacken. Man nannte sie auch „Zähne“ und hängte die Töpfe da ein. Mit Hilfe dieser Zähne konnte man den Kessel höher (weiter weg vom Feuer) oder eben tiefer (näher an das Feuer heran) hängen.

Einen Zahn/einen Zacken zulegen bedeutete also nichts anderes, als dass man den Kessel eine Stufe tiefer hängte. Auf die Weise wurde das Essen dann auch schneller fertig. Im Laufe der Zeit verwendete man diesen Spruch dann auch, wenn etwas (also nicht nur das Essen) schneller gehen/fertig werden sollte. (Zum Beispiel dann, wenn der Lebensgefährte imorgens im Bad wieder einmal viel zu lange braucht oder so.)

Ich schaue wieder hoch auf den Rechner. Er ist fertig mit dem Speichern.
Da fällt mir spontan noch ein: In der Ruhe liegt die Kraft.
Wie wahr, wie wahr …

Brauchen keinen Zahn zulegen, sind schnell genug: Stockcars in Action.

Die Sache mit dem Haken

Der Sommer hält sich versteckt. Immer noch. Aus dem Sonnenbad auf der Terrasse wird auch heute nichts. Und so tut frau, was frau tun muss: Dinge erledigen.
Ich stehe im Handygeschäft in einer riesigen Schlange. Auch das noch. Gerade versucht der Verkäufer, seinem Kunden einen Handyvertrag aufzuschwatzen. „Was? So günstig?“, fragt dieser skeptisch. „Nein, das glaube ich nicht.“ Der Mann hat eine Glatze. Lediglich ein Kranz aus Haaren ziert sie. Er schüttelt den Kopf. „Nein, die Sache muss einen Haken haben.“

Einen Haken haben. Diese Phrase lasse ich mir – Sprachwissenschaftlerin, die ich nun einmal bin – wieder und wieder durch den Kopf gehen. Hat eine Sache einen Haken, damit man etwas oder sich selbst daran aufhängen kann? Ja, das erscheint nur logisch … „Zeigen Sie mir doch mal das Kleingedruckte“, sagt der Kunde und reißt mich aus meiner kleinen Grübelei.

Ja, das Kleingedruckte kann man schon mal übersehen, diese fiesen kleinen Regelungen bleiben auf den ersten Blick verborgen. Und genauso ist das beim Fischen …
Wie bitte? In Ordnung, hier die Aufklärung: Die Redewendung ist sehr alt und hat ihren Ursprung im Hochmittelalter (zirka 1050 bis 1350). Sehr wahrscheinlich ist sie auf das Angeln zurückzuführen: Ein Köder hängt am Ende der Angel, nämlich am Haken. Und der ist für den Fisch nicht sichtbar …

Mein Handy klingelt. Es ist der Liebste. Er fragt freiwillig, ob er heute Abend noch etwas für mich mitbringen soll. Fischfilet, sage ich. Darauf habe ich jetzt wirklich Appetit bekommen.

Stehen auch auf Fisch: Möwen an der Mole in Stralsund

 

 

Keksgänger

„Weißt Du, ich koche heute nicht. Mein Mann kommt eh immer so spät nach Hause. Soll er doch sehen, was er isst!“, beklagt sich die brünette Frau mit der Ketchupflasche in der Hand bei ihrer Bekannten. Die beiden stehen im Nudel- und Soßenregal und halten ein Schwätzchen.
„Ja, ich kann Dich da total verstehen. Meiner kommt auch immer so spät. Ehrlich gesagt geht mir das total auf den Keks.“ Die Bekannte verzieht die Mundwinkel und winkt ab. Beide Frauen sind sichtlich sauer.

Auf den Keks gehen – diese Redewendung gebraucht man, wenn man sich durch etwas oder jemanden genervt fühlt. Woher sie stammt, ist allerdings bis heute noch immer nicht ganz klar. Erst in den vergangenen dreißig Jahren hat sie sich in den hiesigen Volksmund geschlichen. Klar ist: Das Wort Keks stammt aus dem Englischen – cake. Und cake nannte man in England bereits in den 1960er-Jahren verrückte oder durchgeknallte Menschen. Man vermutet, dass mit Keks der Kopf gemeint ist.  Zerbröselt einem der Keks, gehen Nerven zu Bruch. Eigentlich ganz logisch, finde ich.

Ich schleiche hinter den beiden Frauen her und höre noch, wie die Brünette sagt: „Naja, aber ohne Männer geht es eben auch nicht.“ Die Bekannte nickt, kichert und greift nach passierten Tomaten. Vielleicht wird ja heute doch noch gekocht.

Zwar keine Kekse, dafür aber reich an wichtigen Nährstoffen: chinesisches Essen

 

Von Milch und Mädchen

Es ist herrlich warm draußen. Ich sitze im Eiscafé und löffle Vanilleeis. Mir zur Rechten sitzen zwei Mädchen um die zwölf Jahre. Ich belausche ihr Gespräch. Es dreht sich um einen Kuchenbasar, den ihre Schule demnächst veranstalten wird.

„Wenn wir den ganzen Kuchen verkaufen, kriegen wir total viel Geld!“, schwärmt die eine. „Davon kaufen wir uns dann was Schönes – ein Fahrrad oder sowas.“
Das andere Mädchen beginnt zu lachen und kriegt sich fast nicht mehr ein. „Was ist denn?!“, fragt die erste und schlürft an ihrem Milchshake.
„Naja, ein Fahrrad … Das ist doch die totale Milchmädchenrechnung!“
„Die waaaas?“ Unverständliche Blicke von der ersten.
„Mann Lara, hast Du das Wort noch nie gehört? Milchmädchenrechnung: Das ist, wenn sich einer etwas ausrechnet, das gar nicht hinhauen kann!“

Diese Erklärung ist zwar etwas dürftig, aber durchaus zu verstehen.
Hintergrund der Redewendung: Der französische Schriftsteller Jean de la Fontaine schrieb im 17. Jahrhundert eine Fabel über eine junge Bauernmagd. Am Morgen geht sie zum Markt, wo sie Milch verkauft. Auf dem Weg und während des Verkaufs denkt sie darüber nach, was sie sich von dem Gewinn alles kaufen könnte: Sie träumt von Hühnerzucht und Schweinen … und stolpert. Die Milch verschüttet sich über den Boden. Wenn jemand einen Traum hat, sagt man seitdem gern: Das ist eine Milchmädchenrechnung.

„Naja, vielleicht hast Du recht, Lisa. Ein Fahrrad werden wir uns davon nicht kaufen können. Aber vielleicht ja einen Kuchen!“ Und dann bestellen sie die Rechnung. „Die Mädchenrechnung bitte!“, grinst die eine und schaut die Kellnerin an. Die hat natürlich überhaupt keine Ahnung, was hier abgeht. Die beiden Mädchen prusten los.

Nichts geht über ein kühles Gläschen Milch.