Archiv der Kategorie: Begegnungen

Die Sache mit dem inneren Schweinehund

Nein, eigentlich will ich nicht. Aber „eigentlich“ ist ja auch wieder so ein Wort, das genau das Gegenteil ausdrückt. Ich will also doch. Und ich muss. Naja, „müssen“ … Was „muss“ man denn schon im Leben … „Sterben muss man – und aufs Klo“. Zumindest sagte das so immer der Hausmeister unserer Schule. Und der ist wahrscheinlich wirklich schon tot. In den 1990er-Jahren war der in meinen Teenageraugen bereits ein Greis.

Die Sturmkappe habe ich auf, die Joggingkluft klebt mir eng am Leib. 2 Grad sind es draußen. Wah. Kalt. Ich will eigentlich doch nicht. Wenn da nicht diese doofen, fiesen, überflüssen Pfunde wären, die ich mir während der Weihnachtsfeiertage angefuttert habe. Naja, ehrlich gesagt habe ich sie mir zwischen Silvester und Weihnachten angefuttert, aber mir das selbst jetzt so offen und schonungslos einzugestehen, kommt gar nicht in Frage. Ich brauche Motivation.

Ab in den Wald also. Joggen. Acht Kilometer müssen heute schon drin sein. Weniger geht auf gar keinen Fall.
Wo sind eigentlich meine Laufsocken? Oh nein, alle in der Wäsche. Hähä, denkt mein innerer Schweinehund da, kannste eben doch nicht laufen gehen. Ich ziehe energisch die Brauen zusammen und ignoriere das miese Tier in mir. Nehme ich halt normale Socken, früher gab’s solchen Hightech-Kram schließlich auch nicht.

Das Telefon klingelt. Es ist Mutti. Nein, Mutti, eigentlich möchte ich jetzt nicht telefonieren beziehungsweise kann nicht. Ich bin auf dem Sprung in den Wald. Ja, allein, muss mal den Kopf frei kriegen. Nein, da passiert nichts, ich bin doch schon groß (übrigens einen Meter achtzig). Und wehren kann ich mich auch. Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, ich habe das schon oft getan. Mutti! Ich habe über zehn Jahre allein in Berlin gelebt! Wenn Du wüsstest, was ich da schon alles … Ja, okay. Wir reden später, ja?
Ich lege auf. Nein, heute legt man ja gar nicht mehr auf, man drückt auf den roten Button auf dem Smartphone-Display. So, genug philosophiert, los geht’s.

Mist, die Schuhe sind noch nicht ganz trocken von der letzten Einheit. Nasse Laufbotten? Nee … In mir springt der Schweinehund. Ha! Das kannste vergessen. Stur schnüre ich die Treter, steige ins Auto und fahre zum Wald. Dort angekommen, werfe ich die Fahrertür schwungvoll zu, stecke den Autoschlüssel in die Jackentasche, schalte den mp3-Player an. Elektronische Musik. Beste Voraussetzung für ein paar lockere Ründchen. Dann laufe ich los. Die Sonne scheint, es ist trocken. Super Laufwetter.

Hundert Meter später stelle ich fest, dass ich die Brille noch auf hab. Das nervt. Irgendwie ist heute der Wurm drin. Ha! Du kriegst mich nicht, sage ich laut zu meinem inneren Schweinehund, als ich mich umdrehe und zurück zum Auto sprinten will. Ein Spaziergänger mit beeindruckend großem Hund ist plötzlich hinter mir. Er schaut mich seltsam an und mir dann neugierig hinterher. Mir doch egal, auch, wenn ich gleich wieder an dem vorbei muss. ‚ Niemand wird mich heute daran hindern, meine Sporteinheit erfolgreich zu meistern – koste es, was es wolle!

Am Ende schaffe ich tatsächlich meine acht Kilometer, bin aber total k.o. und brauche erst mal was Schönes zu essen.

Manche brauchen den Spaziergang ans Meer, bei mir ist es der Waldlauf.

Herbert, der Küssfisch

Eigentlich wollte ich ihn mir ja nur einmal anschauen – so von Nichtfisch zu Fisch.
Ich beuge mich also vor und gehe direkt mit der Nase an das Aquarium heran.
Da kommt er auch schon angeschwommen, und ich kann nicht glauben, was dann passiert.
Es ringt mir noch im Nachhinein so manchen Lachflash ab.
Herbert  (zugegeben, Herbert ist ein türkischer Fisch, aber passt dieser Name nicht ausgezeichnet zu ihm?) kommt mit seinem Maul direkt an die Glasscheibe heran – und küsst mich. Stubs!
Ich bin begeistert! Ihr nicht auch?

„Mehr Bewutztsein entwickeln“

„Panzer, ich begrüße Sieee!“ Allein diese vier stark gelispelten Worte reichen offenbar aus, um ein ganzes Publikum in eine regelrechte Humorekstase zu versetzen: Als Paul Panzer – der eigentlich Dieter Tappert heißt – diesen Satz in die Artland Arena brüllt, fangen die Zuschauer ihrerseits an zu brüllen – vor Lachen nämlich. Einige schütteln sich regelrecht, ein Mann um die vierzig verschüttet sein Bier.

Menschen verschiedenen Alters sind gekommen, vom Basecap tragenden Teenager bis hin zum ergrauten Greis. Paul Panzer hat eben für alle etwas zu bieten – vor allem seine große Klappe.

Es ist Freitag, kurz nach20 Uhr, als der die Bühne betritt. An diesem Abend hat es sich der Stand-up-Comedian mit antrainiertem Sprachfehler, gewohnt geblümtem Retrohemd (diesmal ohne Hosenträger) und betont schrägem Humor schlichtweg zur Aufgabe gemacht, die gesamte Welt zu retten. Der Titel seiner Show: „Hart Backbord!“, die Themen: Umwelt, Umwelt – und nochmals Umwelt. Mit krächzender Stimme sagt Paul Panzer: „Mir sind da ein paar Sachen auf der Welt aufgefallen, wo ich dachte: Freeeeunde, was läuft denn da ab, hä?“

Er seufzt auf wie ein Kind, das gerade geweint hat. „Und ich kann zu Hause mit niemandem darüber sprechen.“ Das Publikum macht mitleidig: „Ooooh…“

Von der globalen Erwärmung über Ölkatastrophen bis hin zum „Medienmüll“ nimmt Paul Panzer auf seine wie üblich freche, ironisch-satirische Weise alles auseinander, was unserer Erde seiner Meinung nach den größten Schaden zufügt. Immer wieder appelliert er an den Verstand der „Quatzenbrücker Menschen“, denn auch hier müsse man „ein Bewutztsein für die Welt entwickeln!“

Der 40-Jährige wiederholt mahnend und mit gehobenem Zeigefinger: „Ein ziemlich immenses Bewutztsein sogar – für das, was in unserer Welt in Ordnung ist, und für das, was nicht in Ordnung ist!“ Paul Panzer reißt die Augen unter seiner streng wirkenden Rahmenbrille auf und schürzt dabei bedächtig die Lippen. „Das heißt nicht, dass wir jetzt alles gleich ändern müssen, aber das Wissen ist schon mal viel wert! Ich zum Beispiel weiß jetzt, ich soll meinen Grill nicht mit Altöl anmachen. ..“

Und dann ist da noch dieses Thema: Menschen, vor allem Jugendliche, würden zunehmend desinteressiert, ohnehin würden sie nur noch digital leben. Und im Zeitalter von Facebook und Twitter sei man sogar dazu aufgefordert, seinen „Stuhlgang mit anderen zu teilen.“

„Alles, was wir machen, kommt eines Tages zu uns zurück“, sagt der aus Düren stammende gelernte Schweißer nachdenklich. Er fordert das Publikum auf: „Also macht doch mal wieder was Normales!“ Dann schaut erEhrfurcht gebietend in die Runde.

Es herrscht sekundenlanges Schweigen. Einige Zuschauer rutschen unruhig auf ihren Stühlen herum, so als fühlten sie sich bei irgendwas ertappt.

Dann ruft Paul Panzer in den Saal: „Freunde, schreibt doch mal wieder eine Postkarte. Mensch!“ Erleichterung macht sich breit, das Publikum lacht wieder.