Archiv der Kategorie: Begegnungen

Ballett statt Fußball?

„Ballett ist kraft- und anspruchsvoll, es ist richtig dynamisch“, schwärmt mir meine Freundin Christina bei einem Milchkaffee in unserem Garten vor. Sie ist Ballettlehrerin mit eigener Schule in Rastede bei Oldenburg. „Und das ist auch der Grund, warum Jungs hier eigentlich gut aufgehoben sind.“
Eigentlich? Die Mittvierzigerin schürzt nachdenklich die Lippen. „Weißt Du, von meinen knapp achtzig Schülern sind genau zwei männlich. Es sind Brüder, die sich beim Unterricht der Schwester ins Ballett verliebt haben.“ Der ältere der beiden tanzt mittlerweile drei Mal in der Woche: Ballett und Flamenco.
Warum machen das eigentlich so wenige Jungs? „Hierzulande gibt es leider immer noch so viele Vorurteile hinsichtlich des Jungenballetts“, erklärt Christina. Und ganz nebenbei bemerkt kann ich mir P. und K. tatsächlich nicht so richtig dabei vorstellen …

Während des Gesprächs kommt Christinas Tochter angerannt, P.s Freundin mit P. im Schlepptau. Die Fünfjährige tanzt ebenfalls seit einer Weile. Das Mädchen mit dem frechen, blonden Kurzhaarschnitt führt uns etwas vor, strahlt dabei über das ganze Gesicht wie ein Honigkuchenpferd. Dann läuft sie wieder davon. P. flitzt natürlich sofort hinterher. Und K.? Der rennt hinter P. her.
„Für Mädchen gibt es hierzulande so viele Angebote“, sagt meine Freundin. „Zum Beispiel den Girls Day. Es gilt aber auch als cool, wenn Mädchen zum Fußballtraining gehen.“ Wenn aber Jungs ihre Leidenschaft für den Tanz entdecken, sieht man überall Stirnrunzeln.“ Christina legt eine Erzählpause ein und sieht unseren drei Kids ein bisschen beim Spielen zu.

Weiter im Text. In Ländern wie Russland habe das Ballett übrigens einen ganz anderen Stellenwert. Dort sei man stolz darauf, Tänzer zu sein – ein ehrbarer Beruf wäre das. „Spätestens mit der Pubertät beginnen bei uns aber die Hänseleien“, meint Christina. „Und Ballett wirkt plötzlich irgendwie schwul.“
Was müsste denn ihrer Meinung nach getan werden, um mit diesen Vorurteilen aufzuräumen? „Ballett hat doch nichts mit Homosexualität zu tun! Es erfordert Kraft, es werden Partnerinnen durch die Luft gewirbelt. Du kennst doch den Film ‚Billy Elliot‘: Ein Vater schickt seinen Sohn zum Boxen, doch der geht heimlich tanzen und schafft es auf eine renommierte Akademie. Dieser Film jedenfalls zeigt dynamische Bewegungen, genau die gilt es herauszukehren … Schau Dir doch mal Videoaufzeichnungen vom ehemaligen Balletttänzer Mikhail Baryshnikov an; was konnte der damals springen!“ Sie könnte sich stundenlang darüber auslassen. Ich nippe an meinem Kaffee und bewundere sie heimlich.

Meine Freundin erzählt noch, dass sie gern zusammen mit ihren beiden Mitarbeitern eine solche Jungsballettklasse ins Leben rufen würde. „Zu Beginn, bei der tänzerischen Früherziehung, unterscheidet sich der Ballettunterricht von Mädchen und Jungen noch nicht sehr. Es werden Elemente der russischen Waganowa-Methode und der englischen Royal Academy Of Dance miteinander kombiniert. So können wir individuell auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen und sie fördern. In unseren Klassen legen wir Wert auf das Zusammenspiel von Technik, Athletik, Kreativität und Musikalität.“
Und später dann? „Ab dem siebten oder achten Lebensjahr gibt es schon so einige prägnante Unterschiede. Aber nur kurz: Hier bekommen Jungs bei uns den Raum für dynamischere und kraftvollere Bewegungsabläufe, den sie ja auch brauchen.“ Christina macht eine entsprechende starke Geste mit ihrem Arm. Schon wieder himmele ich sie an. Meine Powerfreundin mit dem feinen Herzen.

„Ich bin ein Hexenjäger!“, tönt es lauthals durch den Garten. Das Töchterchen kommt mit funkelnden Augen und zerzaustem Blondschopf angerannt, ein erhobener Stock dient ihr als Schwert. Ihre Mutter lacht herzhaft; der Stolz steht ihr ins Gesicht geschrieben.
„Da, siehste!“, Christina wird jetzt auch richtig laut. „Genau das dürfen heute alle Mädchen sein: Hexenjägerinnen, Rennfahrerinnen, Ritterinnen … Und was fehlt?“ Kurze Erzählpause, dann ein Grinsen: „Der singende, springende Prinz!“

Informationen:
Christina Bayer, Oldenburg, 0441/3044038

Theaterreif

Ein seltsamer Tag ist das. Ich habe schlecht geschlafen und bin gereizt. Obwohl diese Beschreibung eigentlich eher untertrieben ist: Ich bin wirklich miesepetrig drauf und gönne mir das jetzt einfach mal. Und das, obwohl die Sonne scheint und es heute ziemlich warm werden soll. So. Basta.

Hach, aber diese Landluft hier ist einfach herrlich; da könnte man schon fast wieder gute Laune bekommen …
Nix da. Nein, meine gute Laune hat heute frei, sie darf den ganzen Tag kuscheln.

An der Supermarktkasse geht mir der hyperfreundliche Verkäufer total auf die Nerven. Anscheinend hat er einen Clown gefrühstückt. Einen großen, fetten Clown. Oder zwei. Und mindestens noch einen kleinen dazu. Als ich ihm meine EC-Karte zum Bezahlen gebe, platzt es aus ihm heraus: “Nein nein, nicht mir geben! Ab ins Gerät damit, ich sammle nämlich Karten und Pin-Nummern!” Dabei schaut er mich an, als wäre er ganz besonders gefährlich oder doch zumindest verwegen. Und dann diese Möchtegern-James-Bond-Falte auf seiner Stirn. Findet er das tatsächlich witzig?

„Treuepunkte brauchen Sie sicher nicht; Sie sehen mir treu genug aus!“ Ich ignoriere auch diesen Spruch, packe in übertriebener Gelassenheit – die absolut gespielt und absolut theaterreif ist – meine Siebensachen zusammen. Dabei bemühe ich mich, möglichst entspannt auszusehen. Weitermachen, konzentier Dich …

Ich glaube, es gelingt mir ganz gut. Leider zu gut.
“Dann bekomme ich hier bitte noch ein Autogramm von Ihnen“, plappert er munter weiter, als er mir den Beleg zur Unterschrift gibt.  „Falls Sie doch noch ins Fernsehen kommen.”
Plötzlich habe ich es sehr eilig, nach draußen zu kommen und mich zu meiner guten Laune ins Bett zu legen.

Kein Kommentar.

Kleingeldgeklimper

Beim Bäcker. Ich möchte ein paar Frühstücksbrötchen kaufen. Als ich zahle, fällt der Blick der Verkäuferin auf mein Kleingeld. „Wollen Sie das loswerden?“, fragt sie mich, ganz bestimmt in freudiger Erwartung auf so viel Geklimper in ihrer Kasse. Verkäuferinnen können ja das immer gut gebrauchen. Und so kümmert sie sich aufopferungsvoll um die Münzen, während ich ihr dabei sehe, wie sie eine nach der anderen in die Fächer einsortiert.

Am Ende habe ich fast nur noch Geld in Scheinen. „Jetzt ist das Portemonnaie viel leichter“, strahle ich und gewichte die Börse demonstrativ in meiner Hand. „Sie haben mich heute Morgen sehr glücklich gemacht!“ Die Frau strahlt bis über beide Ohren. Auf dem Weg zurück zum Auto frage ich mich aber, wer hier eigentlich wen glücklich gemacht hat.