Juhu, der Lenz ist da! Und jetzt, wo das Wetter wieder schöner geworden ist und die Sonne strahlt, denke ich an den Frühling im Jahr 2005. Ich schrieb meine Magisterarbeit. Das Thema: die Sprachsituation auf der Insel Mauritius im Indischen Ozean. Nostalgisch blicke ich auf eine stressige, aber auch wunderbare und erinnerungswürdige Zeit zurück. Eine kleine Hommage an mein Studium.
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Mauritius ist vielen als Urlaubsparadies bekannt. Doch hat die Insel  einiges mehr zu bieten: eine unglaublich vielschichtige  Sprachlandschaft. Mauritius, Namensgeber für die weltberühmte blaue Briefmarke,  ist vielen bekannt als „Perle im Indischen Ozean“. Die wenigsten wissen,  wo sich die Insel genau befindet, „irgendwo im Indischen Ozean“. Man  weiß, sie ist ein Ferienparadies, das man gerne einmal bereisen würde.  Doch Mauritius ist weit mehr als nur eine Urlaubsinsel: Sie ist  Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen und Sprachen. Einst von  verschiedenen europäischen Nationen umkämpft, leben dort heute die  Nachfahren von Kolonisten, afrikanischen Sklaven und indischen  Lohnarbeitern in Harmonie miteinander – keine Spur mehr von dem Gemetzel  der vergangenen Jahrhunderte. Die gegenseitige Toleranz der  verschiedenen Völker mit ihren jeweiligen Religionen und ethnischen  Bräuchen ist gegenwärtig vermutlich nirgendwo so groß wie hier. Und so  unterschiedlich die Menschen sind, so vielschichtig ist auch die  Sprachlandschaft der Insel: Neben dem „Morisyen“, dem Englischen und dem  Französischen werden eine Reihe von weiteren Sprachen gesprochen.
Vielschichtige Sprachlandschaft
Wer zuerst auf den Maskarenen gelandet ist, ist bis heute nicht  geklärt. Bekannt ist, dass die Portugiesen zu Beginn des 16.  Jahrhunderts dorthin gelangten, die Inseln jedoch nicht besiedelten.  Bekannt ist weiterhin, dass der Seefahrer Péro de Mascarenhas der  Inselgruppe ihren Namen gab. Man nannte Mauritius „Ilha do Cirne“ –  „Schwaneninsel“ – und nutzte sie ausschließlich zu pragmatischen  Zwecken: etwa, um Vieh auszuwildern, das als Nahrungsquelle diente. Die  Folge: Ein erheblicher Teil der exotischen Flora und Fauna wurde  zerstört; einheimische Arten wie der Vogel „Dodo“ starben aus.
Mitte des 17. Jahrhunderts erreichten die Holländer Mauritius und die  Franzosen das benachbarte Réunion. Während Frankreich „seine Insel“  erfolgreich angliederte, scheiterten die Holländer mit ihrer Mission auf  Mauritius. Um 1710 verließen sie schließlich die Maskarenen. Den  Franzosen aber gelang es, sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts dort fest  zu etablieren: Das Französische war jetzt die erste Sprache, die hier  verbreitet wurde. Ihre Arbeitskräfte bezogen die französischen  Kolonialherren vorwiegend aus Afrika: Um 1722 wurden die ersten Sklaven  nach Mauritius gebracht. Es wurde strikt darauf geachtet, dass diese aus  den verschiedensten Regionen und Stämmen Afrikas stammten. Damit  wollten die Herren verhindern, dass die Sklaven miteinander sprechen und  Revolten anzetteln konnten. Erfolglos. Mit der Zeit entwickelten die  Afrikaner ihr eigenes „Pidgin“, eine Behelfssprache, mit der sie  untereinander und mit ihren Kolonialherren kommunizierten. In der  Folgezeit entwickelte sich daraus eine eigenständige Kreolsprache, die  sich heute fest etabliert hat: das Morisyen.
1810 gelangte Mauritius in britische Hand, weshalb auf Mauritius  heute auch Englisch gesprochen wird. Der wichtigste Wirtschaftszweig der  Inselbewohner wurde die Zuckerproduktion. Doch mit Abschaffung der  Sklaverei fehlten den Engländern Arbeitskräfte – und so brachten sie aus  ihren indischen Kolonien Lohnarbeiter auf die Insel. Zu diesen  „Coolies“ (Kulis) gehörten Angehörige unterschiedlicher Völker wie  Hindus, Muselmanen und Tamilen. Diese haben sich bis heute fest auf der  Insel etabliert. Heute machen diese Gruppen etwa zwei Drittel der  Bevölkerung aus. Mit der Zeit kamen auch indische Händler aus dem  heutigen Gujarat und etwas später Chinesen nach Mauritius. Alle diese  ethnischen Gruppen brachten ihre Sprache, Kultur und Religion ein.
Verschiedene Sprachen, verschiedene Rollen
Wann auf Mauritius welche Sprache verwendet wird, hängt in erster  Linie davon ab, ob ein Anlass formell ist oder nicht. Bei offiziellen  Anlässen sprechen die Mauritianer Englisch, die Amtssprache des  Inselstaates. Nur für sehr wenige Menschen ist es zugleich  Muttersprache; vielmehr hat es für sie den Status einer Fremdsprache.  Prestigesprache, zweite Amtssprache und Schriftsprache ist das  Französische. Es wird ebenfalls in formellen Situationen verwendet, ist  aber Muttersprache für weitaus mehr Einwohner. Der kulturelle Einfluss  des Französischen ist wesentlich stärker als der des Englischen – seine  Ähnlichkeit mit dem Kreolischen macht es für die Inselbewohner  einfacher, Französisch zu lernen.
Das Kreolische dominiert innerhalb der weiten Sprachlandschaft der  Insel Mauritius. Ein Großteil der mauritianischen Bevölkerung verwendet  es als Alltagssprache. Das Kreolische hat noch immer keinen konkreten  Rechtsstatus, doch wird es inzwischen teilweise auch im öffentlichen  Leben verwendet. Als Muttersprache der meisten Einwohner kann das  Morisyen nämlich als sprachliches Verbindungsstück zwischen den  einzelnen ethnischen Gruppen angesehen werden. Seit Jahrzehnten gibt es  mehr oder weniger effektive Bestrebungen, eine einheitliche Graphie für  die Sprache zu finden und sie zu standardisieren.
Viele Mauritianer sprechen mindestens zwei – oft aber mehrere –  Sprachen fließend. Je nach sozialer Stellung oder Beruf werden bestimmte  Sprachen verwendet, die eine gewisse Rangordnung haben:  Geschäftsführer, Rezeptionisten und Telefonisten beispielsweise sprechen  meist Französisch, während Geschäftsführer internationaler Firmen  untereinander Englisch reden. Auch offizielle Korrespondenzen werden in  Englisch durchgeführt. Angestellte aus dem Bank- oder Versicherungswesen  neigen dazu, untereinander, am Telefon und mit den Kunden Französisch  zu sprechen – es sei denn, diese sind schlecht gekleidet. In einem  solchen Fall wird in Morisyen kommuniziert. Techniker, Bedienstete im  Servicebereich und Fahrer sprechen ebenfalls überwiegend Kreolisch. Es  kann davon ausgegangen werden, dass mit zunehmend hierarchischer  Stellung Vorgesetzte über die Kenntnis des Englischen und Französischen  verfügen dürften, um ihrerseits Arbeitsabläufe oder organisatorische  Aspekte mit Geschäftspartnern zu kommunizieren.
Morisyen erlebt einen starken Aufwärtstrend: Es wird heute von den  meisten Einwohnern – ganz gleich welcher Nationalität – gesprochen. Doch  vor allem westliche Nationen haben dieser Sprache gegenüber noch immer  ihre Vorbehalte: Das Kreolische sei keine Sprache, weil es lediglich aus  der Unbeholfenheit der afrikanischen Sklaven entstanden sei, die kein  korrektes Französisch gesprochen hätten. Es habe keine greifbaren und  festen grammatischen Regeln, heißt es. Dass das Morisyen keine Masse an  Regeln, dafür aber jede Menge unerschöpfliche Ausdrucksmöglichkeiten zu  bieten hat, wird leider nicht offiziell anerkannt – noch nicht. Es wird  wohl noch lange dauern, bis es soweit ist.
Lächeln