Archiv der Kategorie: Gedanken

Zwischen Faszination, Freude und Furcht – wie es ist, ein Papa zu sein


Ein Vater berichtet aus seinem Alltag mit drei Töchtern

Wie fühlt es sich eigentlich an, Vater zu sein? Was ist toll dran und was eher nicht so? Was treibt so ihn um – und an?
Kürzlich hatte ich einen richtig tollen Papa im Interview: Thomas, 41 Jahre alt, freier Autor von Hörspielen, Hörbüchern, Romanen und gegenwartsliterarischen Texten aus Geesthacht – und war ehrlich überrascht von seinen aufrichtigen Antworten auf meine doch ziemlich persönlichen Fragen.

Thomas, Du bist gerne Papa. Oder?
Ja, meistens. Meine Frau und ich haben zwei Pflegetöchter mit starken Bindungsstörungen im Alter von zwölf und elf Jahren sowie ein leibliches Kind, ein Mädchen von vier Jahren. Sie sind alle drei grundverschieden, das ist spannend: Während die eine total strebsam ist, nimmt die andere Manches gerne auf die leichte Schulter und glaubt, das Glück stets auf ihrer Seite zu haben. Und unsere Kleinste entdeckt und erkundet gerade die Welt. Die jeweiligen Entwicklungen der Kinder zu beobachten und zu erleben, das ist natürlich klasse und ein echtes Privileg.

Gibt es neben all der Faszination und Freude auch Dinge, die Dir als Vater Angst machen?
Na klar, alle Eltern haben doch so ihre Sorgen. Ich bin so stolz auf meine Mädchen und glücklich, sie zu haben. Aber da ist auch immer mal mehr und mal weniger unterschwellig die Urangst, ihnen könnte etwas geschehen – oder sie könnten an die „falschen“ Leute geraten. Obwohl ich der Meinung bin, sie müssen viele Erfahrungen selbst machen, möchte ich sie doch immer wieder beschützen und behüten.

Wie gehst Du mit dieser Sorge um?
Ehrlich gesagt ist es eine Gratwanderung zwischen: sie „einsperren“ wollen und sie allein in die Welt hinaus gehen lassen.
Vielleicht erzähle ich an dieser Stelle eine kleine Anekdote, um es etwas verständlicher zu machen: Ich war mit einigen Kumpels unterwegs. Es kam eine junge Frau auf uns zu, sehr attraktiv. Meine Ehefrau war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger mit unserem dritten Mädchen. Meine Kumpels so über die Fremde: „Wow, was für ein Geschoss!“ Und so weiter. Da dachte ich nur: „Auf solche Typen wird eine unserer Töchter auch mal stoßen.“ Andererseits sind meine Kumpels allesamt selbst tolle Väter und prima Ehemänner. Dennoch: Für mich fühlt es sich an wie ein Tanz auf dem Vulkan.

Verstehe. Und sie werden so schnell groß, unsere Kids, nicht wahr? Wie geht es Dir damit?
Es ist doch verrückt oder? Mir fällt da ehrlich gesagt immer Reinhard Mey mit seinem Song „Kleines Mädchen“ ein. Er beschreibt darin, wie sein kleines Mädchen gestern noch Schutz auf seinem Schoß suchte und heute als junge Frau bereits Bänder im Haar hat. Es trifft mich immer wieder und macht mich glücklich und traurig zugleich. Meiner Frau geht das übrigens auch so.

Ja, alles hat eben mindestens zwei Seiten … Da werden wohl die allermeisten Eltern wehmütig. Darf ich fragen, wie es um eure Paarbeziehung steht, seit ihr Kinder habt?
Wir sind seit 21 Jahren ein Paar, meine Frau war zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens gerade einmal 18 und ich 20 Jahre alt. Das ist natürlich eine lange Zeit zusammen. Sie ist Lehrerin und Künstlerin, es ist unglaublich, was sie alles auf die Beine stellt. Als Team sind wir wirklich spitze, ziehen an einem Strang und haben gemeinsame Ziele …

Höre ich da ein „Aber“ heraus?
Naja, wir haben offen gestanden kaum Zeit für uns beide – und uns wahrscheinlich deshalb etwas aus den Augen verloren – auch sexuell. Das macht mich ziemlich traurig. Wir Eltern bauen uns leider immer wieder eigene Gefängnisse und vergessen, wie man die Türen öffnen kann: Die Miete muss gezahlt werden, die Kinder haben Hunger, wollen spielen und beschäftigt werden … Meine Frau möchte malen, ich möchte auf Konzerte oder reisen. Hach, da sind viele Bedürfnisse, die da aufeinanderprallen. Wir haben uns selbst Ketten angelegt, die wir wachsen lassen, um es einmal mit Charles Dickens zu sagen.

Ich glaube, das geht doch aber den meisten Menschen in Langzeitbeziehungen so – nicht nur denen mit Kindern. Oder?
Ja, das denke ich auch. Leider. Eine Patentlösung gibt es da wohl nicht. Jedes Paar muss selbst schauen, wohin es der Weg führt. Oder was meinst Du?

Mhm … ja. Zum Glück bin ich heute nur die Fragestellerin … Ich sage nur „Coolidge“ … Wollen wir das einmal so stehen lassen?
Gern. Es ist nun einmal so.

Danke, lieber Thomas, für das offene Gespräch.
Besten Dank zurück, gern wieder.

Zum ersten Mal allein auf Klassenfahrt – und alle drehen durch

Mein fast Neunjähriger fährt zum ersten Mal für drei Tage mit der Klasse weg. Es geht zur Thülsfelder Talsperre. Vor allem die Mamas in meinem Umfeld machen sich total verrückt, während ich mich eher frage: Bin ich eine schlechte Mutter, weil ich mir fast keine Sorgen oder zumindest Gedanken mache und darauf vertraue, dass die Lehrerinnen das alles schon deichseln werden?“

„Der Abschied wird ihm so schwerfallen, das weiß ich jetzt schon!“ – „Was, wenn sie abends weint und nach Hause will?“ – „Ob er sich ernsthaft verletzen wird? Er ist doch so ein wilder Strick!“ – „Und was, wenn sie nicht einschlafen kann?“
Schon im Vorfeld zur Klassenfahrt machen sich die Muttis der Kinder aus den Klassen 3a und 3c mit derartigen Fragen völlig fertig. Und sie tun mir auch ein bisschen Leid, denn immerhin reden wir hier von der allerersten Klassenfahrt im Leben unserer um die neunjährigen Schützlinge. Und während die Frauen so klagen und bangen, stehe ich etwas eingeschüchtert daneben und frage mich ernsthaft, ob mit mir etwas nicht stimmt, weil ich mir keine Sorgen machen.

Giraffenaffen und Gespräche
Beim Packen drehen P. und ich die „Giraffenaffen“ lauter und legen – oder werfen – in den Koffer, was er so alles braucht: Klamotten für drei Tage (und einmal Ersatz, ihr wisst schon), Handtücher, Waschlappen und Seife, Zahnbürste und -creme, Badehose und -kappe (er hat langes Haar), Buch und so weiter und so fort. Wir haben ziemlich gute Laune. Und doch merke ich, dass er selbst sich natürlich sehr mit dem Thema „ich allein auf weiter Fahrt“ auseinandersetzt. „Mama, ich habe ein bisschen Angst …“ Klar hast Du das, hatte ich auch … „Davor, dass ich nach Hause möchte.“ Verstehe ich und schnappe mir den kleinen Kerl für ein aufheiterndes Gespräch mit gedanklichen Lösungsansätzen für seine Befürchtungen. Und weil seine Mutter eine fürchterliche „Übertreiberin“ ist, beginnt er schon wieder zu kichern.

Planschen, Pups und … Periode
Wie stolz er hinterher sein wird, dass er das geschafft hat! Das denke ich nicht nur, sondern spreche es laut vor meinem Söhnchen aus. Weil ich noch genau weiß, wie es sich anfühlt. Und ich denke zurück an meine allererste Klassenfahrt mit neun Jahren nach Prerow. Fischland Darß, wie wunderschön das war, wie aufregend … Ich erzähle meinem kleinen, doch schon ziemlich großen Jungen, was wir Kinder dort alles erlebten: wie wir im Meer schwammen, am Lagerfeuer saßen, Würstchen und Kartoffeln grillten, wie wir abends im Bett über unsere Pupse lachten. Ja sogar, wie ein fast zehnjähriges Mädchen während des Aufenthalts zum ersten Mal ihre Periode bekam … P. staunt. Er bekommt schon lange mit, dass seine Mama dann und wann blutet. Aber dass das schon so jungen Mädchen passieren kann, ist neu für ihn, und er bleibt etwas an dem Thema kleben. Er fragt interessiert, ich antworte geduldig. Dieses Gespräch dort auf seinem Kinderzimmerfußboden werde ich nie vergessen. Und auch nicht die Dankbarkeit, die ich in diesem Augenblick fühlte: Ich habe als „Jungsmama“ die ziemlich einmalige Chance, meinen beiden Bengelchen „die Welt der Frauen und Mädchen“ zu erklären – und dabei aufzuräumen: mit vielen blöden Klischees und Halbwahrheiten bis Dummheiten, die über das weibliche Wesen kursieren.

Es geht los!
Am Tag der Abreise ist P. ganz hibbelig. Verständlich, denn gleich geht es los! Ich bringe ihn überpünktlich zum Busbahnhof der Schule. Wir schauen zu, wie die Kinder nach und nach eintrudeln und dann auch die Klassenlehrerin. Sie nimmt wichtige Dokumente entgegen und prüft, wer schon anwesend ist. P. gibt mir einen Kuss und rennt mit den anderen Kids auf den Pausenhof. Einfach so. Ganz einfach. Okay, jetzt wird mir doch ein bisschen seltsam ums Herz. Ich schaue ihm noch eine Weile nach, mache einmal laut „hm“ und gehe gedankenversunken nach Hause …
Einen Tag später berichtet die Klassenlehrerin per E-Mail von einem kleinen (nicht wilden) Vorkommnis und schickt uns Eltern ein Foto: Darauf planschen planschen die Kids vergnügt in flachem Gewässer. Ich seufze und freue mich auf P.s ausführlichen Bericht (in dem es später um die Übernachtungen mit stundenlangen Gequatsche, das Baden im See und – ja – auch ein bisschen Heimweh gehen wird.)

Faces in Times of Corona (oder: Gesichter und Geschichten einer Pandemie)

„Liebe Anja“, beginnt meine Münsteraner Freundin Anne Knoke ihre Widmung im selbst gestalteten und herausgegebenen Bildband „Faces in Times of Corona“, „hier ist es nun, das Buch dieser merkwürdigen Zeit …“
Dann folgen sehr persönliche Worte an und für mich, aber „merkwürdige Zeit“ trifft es. Trifft mich. Und das immer wieder, wenn ich ernsthaft darüber nachdenke.

„Was bewegt Dich?“
„Als Corona anfing …“, lautet Annes erster Satz, wenn sie einen Interviewpartner für ihr Fotoprojekt „Faces in Times of Corona“ vor die Kamera holt. Sie lässt die Protagonisten dann eigenständig diesen Satz beenden – und drückt dabei ein paar Mal auf den Auslöser. Auf den nächsten Satz, auf die nächsten Worte folgt der nächste Shoot – und manchmal sprudelt es dann förmlich aus den Menschen heraus.
„Die ersten Gesprächspartner kamen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis, später auch aus anderen Städten und Regionen Deutschlands.“ Die essentiellen Fragen an alle Teilnehmenden: Wie geht es Dir jetzt in der Pandemie-Zeit? Was machst Du, was bewegt Dich?

„Ich wusste: Es wird eine langwierige Sache“
Gedanken und Gefühle, Sorgen und Ängste, Beklemmungen und Hoffnungen: All die möchte Anne gern erfahren und in Wort und Bild für die Zukunft festhalten: „Ich dachte mir Anfang des Jahres 2020 schon, dass das eine langwierige Sache wird“, schreibt sie mir im Chat. „Und jetzt haben wir bald März 2022 …“ Ich spüre ihr Achselzucken förmlich und bis hierher. Sie ahnte es bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem viele andere noch an ein recht kurzes „Ende mit Schrecken“ glaubten.

Ihre wunderbaren Interviews und berührenden Fotografien postet Anne anfangs in den sozialen Medien und auf ihrer Website. Sie nennt die Serie „Faces in Times of Corona“, wörtlich übersetzt: Gesichter in Zeiten von Corona.
Die Resonanz auf das Projekt ist sehr gut, immer mehr Menschen möchten der inzwischen 43-Jährigen gern Rede und Antwort – und vor allem: Porträt – stehen. So viele Interviews und Bilder kommen auf diese Weise zusammen, dass die Mutter dreier Kinder beschließt, alle in einem Buch zusammenzuführen und vor allem die Fotografien wirken zu lassen – neben einzelnen aussagekräftigen Zitaten. Anne dokumentiert zunächst einmal ab März 2020 und bis Mai 2021 – über ein Jahr Pandemie.

Christoph, Clown und Pantomime

„Entweder, es erwischt mich … oder nicht.“
Während ich das Buch durchblättere, um hier mal mehr und dort noch mehr hängenzubleiben, stelle ich wieder einmal fest: Menschen sind so vielschichtig wie das Leben selbst – ihr Erscheinungsbild, offensichtliche Charaktere, Ansichten …

Esther ist psychologische Psychotherapeutin. Sie weiß um die seelische Not mancher Menschen in Zeiten von Corona. „Ich habe von Anfang an schon mit Schrecken daran gedacht, was das für soziale Folgen haben wird. Und das scheint sich jetzt zu bewahrheiten. Inzwischen rufen immer mehr Menschen an, denen es aufgrund der Pandemie wirklich entsetzlich geht. Die überhaupt nicht damit zurecht kommen, weil sie … keinerlei Kontakte mehr haben, sich verlassen und verloren fühlen … vor allem auf der emotionalen Ebene.“ Die Badbergerin spricht von zunehmender häuslicher Gewalt, überlasteten Jugendämtern und überforderten Lehrern.

Esther, psychologische Psychotherapeutin

„Was mich wirklich besorgt“ schreibt hingegen Designerin Diana, „ist die zunehmende Härte und soziale Kälte, die ich on- und leider auch manchmal offline beobachte.“
Und Pantomime und Krankenhausclown Christoph, hat keine Angst vor Corona. „Entweder, es erwischt mich … oder es erwischt mich nicht. Da bin ich recht unbedarft. Aber ich möchte natürlich einfach weiter leben.“

Amy, Schülerin

„Es wird mehrere Generationen dauern, bis sich die Menschheit von der Pandemie erholt hat“
Anne Knoke lässt in dem knapp einhundert Bilder und etwas über fünfzig Interviewpartner umfassenden Werk auch Kinder zu Wort kommen – so zum Beispiel Schülerin Amy: „Als das angefangen hat, hatte ich mega Angst, dass meine Eltern sich anstecken und sterben.“

Der zwölfjährige Viggo – Annes ältester Sohn – erzählt ziemlich resigniert: „Durch die Vereinsamung ist das Leben bei vielen kaputt. Deswegen glaube ich, dass es auch beim Miteinander mehrere Generationen dauern wird, bis sich die Menschheit da komplett von erholt hat … Jetzt sind alle deprimiert und vereinsamt und vor allem verschlossen. Da muss es erstmal einen Neuanfang geben.“

Viggo, Schüler und Sohn von Anne Knoke

Anne sagt, während des Interviews habe Viggo auch geweint. Welche Mutter lässt das kalt … ? Allein bei der Vorstellung, mein „großer“ Achtjähriger würde derartig weise, traurige Worte von sich geben, steigen mir wirklich die Tränen in die Augen.

Ehrlich gesagt habe ich lange überlegt, mit welchem Ende ich diesen Blog-Artikel versehen soll. Und komme zu dem Schluss: Es gibt kein wirklich passendes. Alles noch „Open End“, nicht wahr?
An dieser Stelle nur ein kleiner Appell: Lest die vollständigen Interviews gerne nach; ihr findet sie auf Annes Website www.trugbild.net. Und kauft ihr Buch, es lohnt sich. (Kontakt: bild@trugbild.net)
Danke, liebe Anne, für diese an- und berührende Dokumentation. Ich lieb‘ Dich, nicht nur dafür.