Anders essen: Tischkultur mit Augenzwinkern

Badbergen. Es ist Freitagabend, kurz nach 18.00 Uhr. Michael Schürkamp alias Butler James steht im Korridor des Artland Festsaals und erwartet sein Publikum. Er trägt weiße Handschuhe und ist auch sonst piekfein gekleidet. Gleich wird es etwas zu essen, zu lernen und zu lachen geben. So zumindest hat James es im Vorfeld des Comedy-Knigge-Dinners versprochen. Und tatsächlich: Bereits den Aperitif serviert der sympathische Künstler mit einer gehörigen Prise Humor. Nachdem der stocksteif wirkende James alle Gäste persönlich begrüßt hat, lässt er ein helles Glöckchen erklingen. „Dieser Klang wird Ihnen den Stress des Alltags nehmen“, so seine Begrüßung. Dabei schaut er den Leuten mit einem beruhigenden Blick tief in die Augen. Und es funktioniert: Eine Dame in flotter Abendkleidung lässt die Schultern etwas sinken, entspannt sich. Ein eleganter Herr lächelt. Dann vergibt der smarte Butler seinen Gästen Fantasietitel wie „Diplom-Psychologin für bindungsunfähige Paarberater“ oder „Vizegräfin mit international anerkannter Pelzmantelsammlung“. Nicht zu vergessen der Förster mit Hochsitzphobie. Wer will, kann an diesem Abend in eine andere Rolle schlüpfen, eine völlig andere Persönlichkeit sein.

Im Empfangsbereich begrüßt die Geschäftsführerin des Artland Festsaals, Cornelia Riedel, die Gäste herzlich mit einem Handschlag.
Bevor James die Gäste zu Tisch geleitet, hält er sie bei einem Glas Sekt oder Orangensaft dazu an, mit einem fremden Gesprächspartner Konversation zu betreiben. Gar nicht so einfach: Scheue Seitenblicke, verlegenes Grinsen. Doch dann trauen sich die ersten – das Eis ist schnell gebrochen.

Zwischen den vier Gängen des festlichen Menüs – darunter eine schmackhafte Karotten-Ingwersuppe und Schweinemedallions an Morchelsauce – gibt James wertvolle Tipps, wie man sich bei Tisch richtig verhält. Er lässt die etwa 40 Gäste ein Kniggequiz lösen, das es in sich hat. Man kniffelt hochkonzentriert. Und bei der Auflösung erfährt man, dass zu einem Button-Down-Hemd auf gar keinen Fall eine Krawatte getragen wird, und dass Adolf Freiherr von Knigge ursprünglich gar kein Benimmlehrer, sondern Schriftsteller war.
Doch nicht nur als niveauvoll konversierender „Pinguin“ macht Butler James eine gute Figur. Er ist auch Bauchredner und lässt stilvolle Handpuppen zu Wort kommen. So plaudert etwa der temperamentvolle Italiener Enrico über Kaffeespezialitäten, während der gewitzte Russe Igor erklärt, wie man am besten Geschäfte macht. Lachen, Staunen, Klatschen: Bei den Zuschauern kommt die Show richtig gut an.

Es sei nicht wichtig, übertrieben „manieriert“ zu sein oder zu wissen, wie man Besteck richtig benutzt, betont Michael Schürkamp, der sich selbst als „Mundwerker“ bezeichnet. Viel wichtiger sei es, im Umgang mit anderen Menschen respektvoll und höflich zu sein. Auch privat legt der studierte Comedien großen Wert auf gewisse Benimmregeln. „Ich finde nicht gut, wenn jemand einfach so seine Serviette auf den Teller knallt“, sagt Michael Schürkamp. „Und ich mag Warten nicht.“ Deshalb sei er selbst auch ein pünktlicher Mensch. Seine Devise: Mit Humor, Respekt und der Fähigkeit, auch einmal über sich selbst lachen zu können, „sind wir doch für fast alle Situationen bestens gerüstet.“ Gegen 23.00 Uhr ist der Abend vorbei – ein Ereignis oder besser: eine leidenschaftliche Hommage an ein gutes Miteinander.

Sprechen über italienische Kaffeespezialitäten: Enrico und Butler James

Butler James sorgt für Spaß und so manchen Lacher

Mein Artikel im Bersenbrücker Kreisblatt – erschienen am 10.05.2011


Warum in die Ferne schweifen …

Auf einer kleinen Rundreise durch das Artland (meine neue Heimat) passiere ich Ägypten! Als ich den Namen auf dem Ortsschild lese, muss ich erst einmal anhalten, fotografieren und laut lachen. Als ich mich beruhigt habe, fahre ich weiter: Höfe und schmucke Häuser, mehr hat die kleine Gemeinde nicht zu bieten. Aber das ist ja auch schon allerhand! In einem Reiseführer lese ich, dass bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts Räuber hierher fanden und sich prompt niederließen. Diese nannte man – wie sollte es auch anders sein – „Egypter“.

Ägypten im Artland (Niedersachsen)

Artland. Der Name der Region klingt nach „Kunst“. Das liegt nahe, ist aber nicht richtig: Einige Historiker vermuten, dass sich „Artland“ vom indogermanischen Verb „ar“ und dem lateinischen „arare“ („ackern“ oder „pflügen“) ableitet. Andere wiederum führen den Namen auf die Bezeichnung „Aortland“ zurück: ein Zusammenschluss aus verschiedenen Ortschaften. Den Familiennamen „Ortland“ habe ich hierzulande bereits einige Male gehört. Wenn das mal kein Zufall ist.

Zurück in die Vergangenheit

Alternative 70er-Jahre-Musik von Vinylschallplatten, psychedelische Lightshows, tanzende Menschen: Am 28. Mai ab 20 Uhr können Musikfans die Electric-Musicland-Party erleben. Das vom Kulturverein Li.F.T. veranstaltete Kult-Event findet zweimal jährlich im Theatersaal der Compagnia Buffo in Restrup statt. Und das bereits zum fünften Mal.

Traditionell legen drei DJs Hits aus den 70er-Jahren auf, darunter Stücke von Santana, Fleetwood Mac und Led Zeppelin, und stellen musikalische Raritäten vor. Ein Highlight: die Lightshow des Flensburger Projektionskünstlers Peter Petersen. Sein Intro: der Rolling-StonesKlassiker „2000 Lightyears from Home“. Es folgt ein Special aus vier Pink-Floyd-Klassikern, begleitet von einer eigens für Restrup kreierten Lightshow. Zum Einsatz kommt Equipment aus den 60er- und 70er-Jahren.

Für Petersen gehören Musik und Projektionen zusammen. „Sie ergänzen sich perfekt. Sie sind ein Medium, das den Zuschauer fesseln und mitreißen kann.“ Die Kombination von Licht und Musik findet auch DJ und Mitorganisator des Events, Gisbert Wegener, sehr gelungen: „Ich habe in meiner Jugend in der Scala in Lastrup erlebt, wie eine gute Lightshow die Stimmung der Musik verstärken kann.“

Auflegen wird Gisbert Wegener mit seinen beiden DJ-Kollegen Udo Pooschke aus Berge und Harald Keller aus Osnabrück. Das Trio hat einen ähnlichen musikalischen Hintergrund: „Udo hat zu Studienzeiten in Hildesheim und Harald in Osnabrück aufgelegt. Gemeinsam verfügen wir über ein beträchtliches Repertoire an 70er-Jahre-Musik. Wir verstehen uns intuitiv“, sagt Gisbert Wegener.

Die Idee für die Electric Musicland Party sei an einem Sonntagnachmittag im Jahr 2008 in Berge entstanden, erzählt der Quakenbrücker, der heute in Osnabrück lebt. „Wir saßen bei Kaffee und Kuchen zusammen, ließen unsere Gedanken kreisen, wie wir mithilfe des Kulturvereins Li.F.T eine außergewöhnliche Party für diejenigen veranstalten können, die ihre Jugend in den alternativen Diskotheken der 70er-Jahre verbrachten. Wir wollten die Musikfans von damals für eine gemeinsame Party gewinnen. Im Laufe des Nachmittags entstand dann die Idee.“

Der alte, heute renovierte Theatersaal in Restrup biete gute Voraussetzungen für das Musikevent, sagt Wegener. „Er sieht mit seinem Holzfußboden und den Pfeilern so aus wie damalige Musikclubs. Er bietet gute Akustik und eine gemütliche Atmosphäre.“ Man darf also gespannt sein.

Einlass ist um 20 Uhr, los geht es eine Stunde später. Der Eintrittspreis: fünf Euro. Musikfans haben per E-Mail noch bis Freitag, den 27. Mai 2011 die Möglichkeit, eigene Musikwünsche für das Event abzugeben. Die Stücke sollten mindestens 30 Jahre alt sein und aus den Genres Rock, Rock ’n’ Roll, Progressive Rock, Psychedelic, Bluesrock, Sixties-Pop, Soul, Funk und frühen New Wave stammen. Kontakt: Gisbert Wegener, gisbert.wegener@t-online.de

Am 28. Mai werde ich auf dem Event dabei sein und dann noch einmal ausführlich darüber berichten.

So wird es gemacht: Das Foto zeigt eine Lightshow für die dänische Jazzband SVIN – entwickelt von Peter Petersen. Foto: Peter Petersen

Artikel vom 3. Mai 2011 (Bersenbrücker Kreisblatt – NOZ)

In einer Welt der Fantasien und Träume

„Wo kann man hier Süßes kaufen?“, fragt mich Ihno Tjark Folkerts am Rande des musikalischen Schauspiels, das gleich in der St.-Sylvester-Kirche in Quakenbrück stattfindet. Ich weise dem Geigenvirtuosen den Weg zum nächstgelegenen Supermarkt in der Innenstadt. Süßes spielt beim Trio LiMUSiN eine entscheidende Rolle: Jeder Zuschauer bekommt beim Einlass einen Schokoriegel gratis. So ist es Tradition. Es ist Freitag, Viertel vor sieben am Abend, die Kirche ist noch leer. Die letzten Vorbereitungen laufen. Gegen 20.00 Uhr geht es los.

„Phantastische Geschichten“ ist der Titel des neuen Frühjahrs- und Sommer-Programms, einer Kombination aus klassischen literarischen Werken und ebenfalls klassischer Kammermusik. Neben kürzeren Stücken von Tschaikowsky, Strauss und Bach präsentiert das Trio wichtige Komponisten des Rokoko: F. A. Hoffmeister, H.A. Hoffmann und F. Fiorillo.
Ich frage Ihno Tjark Folkerts, warum das Trio Quakenbrück gewählt hat. „Es ist
ein liebenswertes, kleines Städtchen“, sagt der große Mann, der in London und Freiburg im Breisgau Violine studiert hat. Außerdem sei die Kirche bestens geeignet für eine Aufführung. Cellist Suren Anisonyan und Schauspieler Benedikt Vermeer nicken. Die Künstler kennen Quakenbrück schon: Im Dezember 2010 waren sie hier mit Charles Dickens‘ „Scrooge!“ zu Gast.

Benedikt Vermeer hat den literarischen Hut auf beim Trio LiMUSiN. Es gebe nur wenige Ensembles, die seit zehn Jahren in dieser Konstellation auf Tour sind, erzählt er. Kammermusik mit klassischen literarischen Werken zu verbinden, sei einzigartig. Vermeer, der in England und in Ottersberg studiert hat, hat eine sonore, eindringliche Stimme, die viel verheißt.

Kurz nach 20.00 Uhr gehen die Lichter aus im Kirchenschiff. Nur die Bühne mit ihrer in schwarzen und goldenen Farbtönen gehaltenen Kulisse ist noch beleuchtet. Drei Stühle, ein Tischchen mit einer Tontasse, ein paar Kerzen. Eine romantische, aber auch schaurige Athmosphäre. Los geht es mit dem Duo Nr. 3 A-Dur op. 5/3 und E.T.A. Hoffmanns „Lasset uns phantasieren!“ In den folgenden eineinhalb Stunden sind urkomische, dann wieder melodramatische oder gar bedrohliche Laute und Klänge zu hören. Das Trio nimmt die Zuschauer mit in eine Welt der Fantasien, höheren Welten und Träume.
In den Gesichtern des Musiker-Duos stehen Ausdruck und Leidenschaft. Suren Anisonyan, der am Staatlichen Komitas-Konservatorium in Armenien studiert hat, trägt eine Sonnenbrille. Erst später nimmt er sie wieder ab. Sie lässt ihn kühl, aber auch undurchdringlich wirken.

„Das kann ja heiter werden“ lautet der Untertitel des Programms. Und das ist es auch, aber nicht nur. Bei Edgar Allan Poes magischem Poem „Der Rabe“ lehrt das Trio seine Zuschauer das Fürchten. Das Gesicht von Benedikt Vermeer ist jetzt dunkelrot angeleuchtet, die Augenhöhlen liegen tief im Schatten. Seine raumfüllende Stimme und das Krächzen der Streichinstrumente bei „Nim-mer-mehr!“ hallen durch die Kirche. Die etwa 50 Zuschauer sitzen aufrecht und gebannt in den Bänken.
„Das waren schon als Kind meine Lieblingsgeschichten. ‚Der Rabe‘ und ‚Der Sandmann‘ haben mich schon immer interessiert“, schwärmt der Schauspieler. Auch Ringelnatz und Puschkin erklingen, Gedichte und Szenen von Wilhelm Busch und Ludwig Thoma. ”Ein Münchner im Himmel“, mit original bayrischem Dialekt, sorgt für Vergnügen.
In der Pause gibt es Saft, Wasser und Rotwein. Auch das ist Tradition beim Trio LiMUSiN.
Dass sich die „Phantastischen Geschichten“ mit „ph“ schreiben sei kein Protest gegen die Rechtschreibreform. Es sei ein Zeichen, „dass wir sowohl textlich als auch musikalisch auf den Reiz ‚alter‘, zum Teil vergessener Werke zurückfassen und sie mit neuem Leben füllen“, so die Musiker.

Im Jahr 2002 lernten sich die drei kennen und gründeten sogleich das Trio LiMUSiN. „Bei einem gemeinsam gestalteten Themenabend rund um einen Kurzfilm hatten wir die Idee, virtuose Kammermusik und rezitierendes Schauspiel zusammenzubringen“, so die Künstler. Mittlerweile hat das Trio ein Repertoire aus elf abendfüllenden Programmen auf die Beine gestellt.

Zwei Zugaben am Ende des Abends. Dann geht das Licht im Kirchenschiff wieder an. Viele Zuschauer bleiben noch sitzen. Vielleicht, um das Erlebte noch ein bisschen auf sich wirken zu lassen.

>> Dieser Artikel ist auch hier sowie in der Printausgabe erschienen.

Über den Schatten gesprungen

Ostern ist vorbei, und es haben sich etliche Pfunde auf meinen Hüften niedergelassen. Egal, wie sanft oder hart ich mit ihnen ins Wortgefecht gehe: Von allein werden sie wohl nicht verschwinden. Es hilft alles nichts: Bewegung ist angesagt. Nicht lange überlegt und die Laufschuhe angezogen: Ich fahre zum Trimm-Dich-Pfad um die Ecke. Mal so richtig die Sportsau rauslassen. Beste Voraussetzungen habe ich ja: Es ist warm, die Luft ist angenehm.

Armkreisen, Rumpf- und Kniebeugen, Dehnübungen, Liegestütze, Balken, Hangeln und Klimmzüge: alles kein Problem! Und dann stehe ich da: vor acht circa einen Meter zehn große Hürden, über die ich jetzt seitlich springen soll. Ach du meine Nase, das sieht mir nicht nach einem leichten Unterfangen aus. Ich nehme Anlauf und – bleibe so richtig doof davor stehen. Ganz schön hoch die Dinger. Nochmal das Ganze – und nochmal. Irgendwie muss ich es doch schaffen, über meinen Schatten zu springen und mich zu überwinden!

Und noch während ich da stehe und genau das immer wieder laut zu mir sage, denke ich schon wieder darüber nach, wieso man eigentlich über seinen Schatten springen soll. Das schafft man doch nie, das ist doch absurd!

Der Schatten eines Menschen ist eng mit seinem Charakter verbunden, lese ich nach. Der „schwarze Begleiter“ spielte immer schon eine große Rolle, so auch in Märchen wie Peter Pan. Wer die Geschichte kennt, weiß, wovon ich schreibe. (Ansonsten: Wendy muss Peters Schatten an seine Fersen nähen, weil er ihn schon einmal verloren hat …)

Im wahren Leben ist es natürlich unmöglich, über seinen Schatten zu springen, doch die Symbolik dahinter ist groß: Es erfordert oft viel Überwindung, bestimmte Dinge zu tun oder Entscheidungen zu treffen. Und egal, ob es physisch unmöglich ist: Ich nehme noch einmal Anlauf und springe über meinen Schatten – und über die erste Hürde.

Mein Leben mit Söhnen