Alles auf dem Schirm

Ich ziehe um – von der Großstadt aufs Land. Und als ob das allein nicht schon Umstellung genug wäre, gibt es auch noch jede Menge zu tun: Kisten verpacken, den gesamten Umzug organisieren, den Strom kündigen und und und … Aber gar kein Problem, ich habe alles auf dem Schirm. Und noch während ich packe und räume, frage ich mich, woher eigentlich dieser Ausdruck stammt: etwas auf dem Schirm haben. Hat das etwas mit Bildschirmen zu tun?

Diesmal liege ich tatsächlich richtig mit meiner Vermutung: Die Redewendung geht auf den Fluglotsen-Beruf zurück, der – im wahrsten Sinne des Wortes – alles auf dem Schirm hat, damit Flugzeuge ohne Zwischenfälle starten und landen können: Auf ihren Monitoren können sie alle wichtigen Informationen ersehen und haben darüber hinaus Kontakt per Funk mit den Piloten. Wenn jemand – so wie ich jetzt – alles unter Kontrolle hat und an alles denken muss, dann hat er eben alles auf dem Schirm. Na, dann kann ja gar nichts mehr schiefgehen.

Haben alles auf dem Schirm: Regie-Mitarbeiter im Fernsehstudio

Angeschmiert

„Pass auf, wir machen das so: Du stehst Schmiere, und ich hol die Zeitschrift!“, flüstert der Junge seinem Freund im Befehlston zu. Ich stehe am Konservendosenregal und glaube zuerst, mich verhört zu haben. Zeitschrift holen. Die beiden Jungs wollen doch tatsächlich klauen. Ich bin ein bisschen wie paralysiert, und noch bevor ich mich in den Coup einmischen kann, flitzt der Flüsterbengel schon los in Richtung Zeitschriftenregal – natürlich total unauffällig. Ich muss grinsen ob dieses Anblicks.

Gehe ich jetzt petzen oder nicht? Noch während ich darüber nachdenke, geht in einer anderen Gehirnwindung die Sprachwissenschaftlerin mit mir durch: Warum sagt man eigentlich „Schmiere stehen“? Damit etwas läuft wie geschmiert? Ja, das ist eigentlich ein recht guter Ansatz, finde ich. Er stimmt nur leider nicht: Das Wort „Schmiere“ stammt aus dem Jiddischen („schimro“) und bedeutet „Bewachung“. Dieser Begriff ging in die Gaunersprache ein und gelangte mit der Zeit ins Deutsche, wo er sich dem Wort „Schmiere“ anglich. Aha: Der eine klaut, der andere bewacht. Logisch.

Eine Verkäuferin kommt um die Ecke. Sie bleibt stehen und beobachtet den Dieb. Durch mich geht ein Ruck, als würde ich selbst erwischt. Stirnrunzelnd und die Arme in die Hüften gestemmt schaut die Frau dem Jungen zu, wie er sich die Zeitschrift in die Tasche stecken möchte. Er schaut nach links und nach rechts, nur eben nicht halbschräg nach hinten. Der andere Bengel bemerkt es zu spät. Er läuft rot an, und noch ehe er seinen Freund warnen kann, geht die Verkäuferin schnurstracks auf den Dieb zu und stellt ihn keifend zur Rede. Fehlt nur noch, dass sie ihn am Ohr zum Filialleiter schleift. Der ist jetzt echt angeschmiert, der Arme.

Stehen keine Schmiere, lästern nur: Teenager-Mädchen

Multikulti im Indischen Ozean

Juhu, der Lenz ist da! Und jetzt, wo das Wetter wieder schöner geworden ist und die Sonne strahlt, denke ich an den Frühling im Jahr 2005. Ich schrieb meine Magisterarbeit. Das Thema: die Sprachsituation auf der Insel Mauritius im Indischen Ozean. Nostalgisch blicke ich auf eine stressige, aber auch wunderbare und erinnerungswürdige Zeit zurück. Eine kleine Hommage an mein Studium.

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Mauritius ist vielen als Urlaubsparadies bekannt. Doch hat die Insel einiges mehr zu bieten: eine unglaublich vielschichtige Sprachlandschaft. Mauritius, Namensgeber für die weltberühmte blaue Briefmarke, ist vielen bekannt als „Perle im Indischen Ozean“. Die wenigsten wissen, wo sich die Insel genau befindet, „irgendwo im Indischen Ozean“. Man weiß, sie ist ein Ferienparadies, das man gerne einmal bereisen würde. Doch Mauritius ist weit mehr als nur eine Urlaubsinsel: Sie ist Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen und Sprachen. Einst von verschiedenen europäischen Nationen umkämpft, leben dort heute die Nachfahren von Kolonisten, afrikanischen Sklaven und indischen Lohnarbeitern in Harmonie miteinander – keine Spur mehr von dem Gemetzel der vergangenen Jahrhunderte. Die gegenseitige Toleranz der verschiedenen Völker mit ihren jeweiligen Religionen und ethnischen Bräuchen ist gegenwärtig vermutlich nirgendwo so groß wie hier. Und so unterschiedlich die Menschen sind, so vielschichtig ist auch die Sprachlandschaft der Insel: Neben dem „Morisyen“, dem Englischen und dem Französischen werden eine Reihe von weiteren Sprachen gesprochen.

Vielschichtige Sprachlandschaft

Wer zuerst auf den Maskarenen gelandet ist, ist bis heute nicht geklärt. Bekannt ist, dass die Portugiesen zu Beginn des 16. Jahrhunderts dorthin gelangten, die Inseln jedoch nicht besiedelten. Bekannt ist weiterhin, dass der Seefahrer Péro de Mascarenhas der Inselgruppe ihren Namen gab. Man nannte Mauritius „Ilha do Cirne“ – „Schwaneninsel“ – und nutzte sie ausschließlich zu pragmatischen Zwecken: etwa, um Vieh auszuwildern, das als Nahrungsquelle diente. Die Folge: Ein erheblicher Teil der exotischen Flora und Fauna wurde zerstört; einheimische Arten wie der Vogel „Dodo“ starben aus.

Mitte des 17. Jahrhunderts erreichten die Holländer Mauritius und die Franzosen das benachbarte Réunion. Während Frankreich „seine Insel“ erfolgreich angliederte, scheiterten die Holländer mit ihrer Mission auf Mauritius. Um 1710 verließen sie schließlich die Maskarenen. Den Franzosen aber gelang es, sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts dort fest zu etablieren: Das Französische war jetzt die erste Sprache, die hier verbreitet wurde. Ihre Arbeitskräfte bezogen die französischen Kolonialherren vorwiegend aus Afrika: Um 1722 wurden die ersten Sklaven nach Mauritius gebracht. Es wurde strikt darauf geachtet, dass diese aus den verschiedensten Regionen und Stämmen Afrikas stammten. Damit wollten die Herren verhindern, dass die Sklaven miteinander sprechen und Revolten anzetteln konnten. Erfolglos. Mit der Zeit entwickelten die Afrikaner ihr eigenes „Pidgin“, eine Behelfssprache, mit der sie untereinander und mit ihren Kolonialherren kommunizierten. In der Folgezeit entwickelte sich daraus eine eigenständige Kreolsprache, die sich heute fest etabliert hat: das Morisyen.

1810 gelangte Mauritius in britische Hand, weshalb auf Mauritius heute auch Englisch gesprochen wird. Der wichtigste Wirtschaftszweig der Inselbewohner wurde die Zuckerproduktion. Doch mit Abschaffung der Sklaverei fehlten den Engländern Arbeitskräfte – und so brachten sie aus ihren indischen Kolonien Lohnarbeiter auf die Insel. Zu diesen „Coolies“ (Kulis) gehörten Angehörige unterschiedlicher Völker wie Hindus, Muselmanen und Tamilen. Diese haben sich bis heute fest auf der Insel etabliert. Heute machen diese Gruppen etwa zwei Drittel der Bevölkerung aus. Mit der Zeit kamen auch indische Händler aus dem heutigen Gujarat und etwas später Chinesen nach Mauritius. Alle diese ethnischen Gruppen brachten ihre Sprache, Kultur und Religion ein.

Verschiedene Sprachen, verschiedene Rollen

Wann auf Mauritius welche Sprache verwendet wird, hängt in erster Linie davon ab, ob ein Anlass formell ist oder nicht. Bei offiziellen Anlässen sprechen die Mauritianer Englisch, die Amtssprache des Inselstaates. Nur für sehr wenige Menschen ist es zugleich Muttersprache; vielmehr hat es für sie den Status einer Fremdsprache. Prestigesprache, zweite Amtssprache und Schriftsprache ist das Französische. Es wird ebenfalls in formellen Situationen verwendet, ist aber Muttersprache für weitaus mehr Einwohner. Der kulturelle Einfluss des Französischen ist wesentlich stärker als der des Englischen – seine Ähnlichkeit mit dem Kreolischen macht es für die Inselbewohner einfacher, Französisch zu lernen.

Das Kreolische dominiert innerhalb der weiten Sprachlandschaft der Insel Mauritius. Ein Großteil der mauritianischen Bevölkerung verwendet es als Alltagssprache. Das Kreolische hat noch immer keinen konkreten Rechtsstatus, doch wird es inzwischen teilweise auch im öffentlichen Leben verwendet. Als Muttersprache der meisten Einwohner kann das Morisyen nämlich als sprachliches Verbindungsstück zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen angesehen werden. Seit Jahrzehnten gibt es mehr oder weniger effektive Bestrebungen, eine einheitliche Graphie für die Sprache zu finden und sie zu standardisieren.

Viele Mauritianer sprechen mindestens zwei – oft aber mehrere – Sprachen fließend. Je nach sozialer Stellung oder Beruf werden bestimmte Sprachen verwendet, die eine gewisse Rangordnung haben: Geschäftsführer, Rezeptionisten und Telefonisten beispielsweise sprechen meist Französisch, während Geschäftsführer internationaler Firmen untereinander Englisch reden. Auch offizielle Korrespondenzen werden in Englisch durchgeführt. Angestellte aus dem Bank- oder Versicherungswesen neigen dazu, untereinander, am Telefon und mit den Kunden Französisch zu sprechen – es sei denn, diese sind schlecht gekleidet. In einem solchen Fall wird in Morisyen kommuniziert. Techniker, Bedienstete im Servicebereich und Fahrer sprechen ebenfalls überwiegend Kreolisch. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit zunehmend hierarchischer Stellung Vorgesetzte über die Kenntnis des Englischen und Französischen verfügen dürften, um ihrerseits Arbeitsabläufe oder organisatorische Aspekte mit Geschäftspartnern zu kommunizieren.

Morisyen erlebt einen starken Aufwärtstrend: Es wird heute von den meisten Einwohnern – ganz gleich welcher Nationalität – gesprochen. Doch vor allem westliche Nationen haben dieser Sprache gegenüber noch immer ihre Vorbehalte: Das Kreolische sei keine Sprache, weil es lediglich aus der Unbeholfenheit der afrikanischen Sklaven entstanden sei, die kein korrektes Französisch gesprochen hätten. Es habe keine greifbaren und festen grammatischen Regeln, heißt es. Dass das Morisyen keine Masse an Regeln, dafür aber jede Menge unerschöpfliche Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten hat, wird leider nicht offiziell anerkannt – noch nicht. Es wird wohl noch lange dauern, bis es soweit ist.

Lächeln

Local is lekker!

Exotische Gewürze, aromatische Zutaten und Düfte, bei deren bloßem Einatmen man Fernweh in sich aufkeimen spürt: Die Küche der „Regenbogennation Gottes“ ist genau wie das Land Südafrika selbst ein Schmelztiegel unterschiedlichster nationaler und internationaler Einflüsse. Südafrika. Das Kochbuch, erschienen im Fackelträger Verlag Köln, präsentiert dem Hobbykoch und Südafrikafan auf 256 Seiten die beliebte „Fusions-Küche“, in der afrikanische, europäische und asiatische Elemente zu einer schmackhaften und reichhaltigen Kost vereint sind.

Dem Kapitel Weine widmet das Kochbuch vorweg ein paar anschauliche Seiten. Von Chenin Blanc und Chardonnay über Cabernet Sauvignon, Shiraz und Merlot bis hin zum begehrten Pinotage-Wein: Südafrika ist vor allem auch für seinen Weinbau bekannt und beliebt. Kapstadt ist eine der größten Weinhauptstädte der Welt.

Die Nationalspeise Südafrikas, so erfährt man im Kochbuch, ist der Bredie. Dies ist ein einfach zuzubereitender, aromatischer Lammeintopf mit verschiedenem Gemüse und Wasserlilien. Auch komplexere Rezepte mit Antilopen- oder Krokodilfleisch, Fisch und Meeresfrüchten sollte man unbedingt einmal ausprobieren. Neben den meist asiatischen Hauptspeisen beschreibt Südafrika. Das Kochbuch unter anderem auch Mehl- und Süßspeisen mit europäischen Einflüssen, darunter den Rollkuchen Roly-Poly, den beliebten Malva-Pudding oder das so genannte Wasserbock-Gebäck, benannt nach der afrikanischen Antilopenart.

Der geneigte Koch wird sich jetzt vielleicht fragen, woher er all die exotischen Zutaten beziehen soll. Hier schafft Südafrika. Das Kochbuch Abhilfe: Da natürlich nicht alle Zutaten hierzulande erhältlich sind – darunter etwa Krokodil- und Antilopenfleisch oder Wasserlilien – bietet das Kochbuch als Ersatz Produkte an, die stattdessen in den Rezepten verarbeitet werden können.

Südafrika. Das Kochbuch ist ein tolles Werk nicht nur reich an Rezepten für kulinarische Köstlichkeiten, bei denen einem das Wasser im Munde zusammenläuft. Im wahrsten Sinne des Wortes geschmackvolle Fotografien und darüber hinaus zahlreiche interessante Informationen über Land, Leute und Leckereien runden das liebevoll produzierte, optisch sehr ansprechende Werk in seiner Gesamtheit ab.


Local is lekker, sagt der Einheimische. Und recht hat er.

 

 

Was für die Seele

Es regnet zwar. Und dennoch naht der Frühling. Ich kann es riechen und schmecken. Es wird sicher nicht mehr lange dauern.

Vor dem REWE gibt es Stiefmütterchen. Perfekt, denn ich habe Lust auf Blümchen heute. Neben mir steht eine Frau, sie greift nach der einen, dann wieder nach der anderen Pflanze. Entscheiden kann sie sich nicht so richtig. Geht mir genauso. Anscheinend sind wir auf der Suche nach der perfekten Pflanze. Sie bemerkt auch mein Zögern. Wir grinsen uns an. Sie hat den passenden Topf für sich gefunden und geht durch die Eingangstür.

An der Kasse treffen wir uns wieder, die andere Frau und ich. Sie ist vor mir dran. Die Kassiererin tippt den Preis der Pflanze ein und scannt auch die übrigen Einkäufe. Die Kundin begutachtet derweil mein Pflänzchen. „Sie haben ja auch so ein hübsches Blümelein.“
„Ja“, sage ich, „das finde ich auch. Die sind auch wirklich schön.“ Ich erfreue mich meiner Pflanze.
„Ja“, sagt die andere. „Was für die Seele.“ Sie hat ein warmes, freundliches Lächeln.
Auf dem Heimweg denke ich über diesen Satz nach.

Was für die Seele: Bunte Blumen

Mein Leben mit Söhnen