Archiv der Kategorie: Kinder

Plötzlich vierte Klasse: Mein Junge wird groß!

Die Sommerferien 2022 sind vorbei, mein „Großer“ ist jetzt schon ein Viertklässler – und wirkt dabei auf einmal so erwachsen. Wann ist das eigentlich passiert?

Auf einmal sind sie groß

Da steht er vor mir: vom Kindchenschema nur noch in Ansätzen eine Spur. Groß ist er geworden – und so schlaksig, naja: eher drahtig, mit langen, dünnen Beinen und Armen. Die Haare trägt er über schulterlang, schiebt sie sich lässig zur Seite. In dieser Sache ist er sogar ein richtiges Vorbild für andere Jungs geworden. Neulich schrieb mich die Mama eines Kumpels an: „A. möchte jetzt auch so langes Haar wie Dein Sohn.“ (War sie begeistert oder nicht so? Egal.) Ich schweife ab, bin stolz, na klar.

Eine neue Reife ist erreicht

Heute feiert P. seinen neunten Geburtstag nach, und ich beobachte ihn und die anderen Kids. Einige kenne ich seit der gemeinsamen Kindergartenzeit. Einer der Jungen ist mittlerweile knapp zehn Jahre alt, ebenfalls in der vierten Klasse und trägt Schuhe in der Größe 41 (ja, ich habe heimlich die Sohlen beschaut, weil sie mir echt groß vorkamen). Da kann ich nur noch staunen: Damit hat er mich in Sachen Fußlänge eingeholt. Auch sonst wirkt der in meiner Erinnerung eher „rabaukige“ Knabe jetzt ruhiger, erwachsener. Und auch mein Kind hat eine ganz neue Reife erreicht – in Sachen Körper und Geist.

Wie schnell er rennen und Radfahren (und rechnen) kann! Fast alles, was er unternimmt, wird zu einem kleinen Wettbewerb aufgebauscht. Kräfte und Energien messen stehen bei ihm und seinen Altersgenossen ganz hoch im Kurs. (Der kleine Bruder hat es da manchmal ganz schön schwer hinterherzukommen – und jammert. Da muss ich durch.)

Vergleich und Wirkung sind wichtig geworden

P. denkt rationaler, vergleicht sich jetzt wesentlich mehr mit seinen Freunden, unterscheidet ganz offenkundig stärker zwischen ihnen und sich selbst. Mein „Söhnchen“ versteht immer besser, dass es andere Wahrheiten gibt und es nicht nur seine eigenen sind, die zählen oder die richtigen sind. Sicher ist dies keine leichte Erkenntnis. Nichtsdestotrotz ist ihm zurzeit die Meinung der Freunde und Freundinnen besonders wichtig.

Ein Beispiel: Eigentlich lege ich ihm morgens die Klamotten raus, doch immer häufiger kommt es vor, dass er sie gegen andere tauscht, weil die eine Hose oder der andere Pullover „nicht mehr so cool“ aussehen. Schmunzelnd und staunend stelle ich fest: Der Weg zur Pubertät wird hier wohl gerade geebnet … Ich erinnere mich selbst noch sehr gut an meine eigene.

Stärkeres Mitgefühl für die anderen

Auch eine ziemlich krasse Entwicklung in Sachen Mitgefühl konnte ich beobachten: Als ich neulich Bauchweh hatte und im Bett lag, brachte P. mir sein Körner-Krokodil. Zuvor hatte er es in die Mikrowelle gelegt und für mich erwärmt. Seine beiden Lieblingskuscheltiere – zwei Hammerhaie – legte er ebenfalls zu mir. „Damit Du nicht alleine bist.“ Und das bin ich jetzt häufiger, denn seine Freizeit möchte er natürlich lieber mit seinen Kumpels verbringen … (Ja, auch das gehört dazu: Er erlangt immer mehr Unabhängigkeit von mir. Es ist schön für mich, das zu erleben. Etwas Wehmut mischt sich bei. Die gestehe ich mir aber zu – nach „allem“ …)

Regeln, Regeln, Regeln – und Konsequenzen?

Im Freundeskreis haben die Kids ihre eigenen Regeln, denen sie folgen. Oft fragt mich P., was er tun soll, wenn jemand dagegen verstößt: Soll er seinem Freund noch mal verzeihen, wenn der fies zu ihm war? Ist es die Freundschaft wert? Fragen über Fragen …

Durch das gemeinsame Spielen, das Einhalten und eben Nichteinhalten dieser Regeln und durch das Experimentieren mit eigenen und fremden Grenzen lernen die bald Halbstarken, sich pragmatisch zu verhalten sowie mit Selbstzweifeln, Launen und Frust umzugehen.

Ich darf das alles (und noch viel mehr) gerade erleben, und ehrlich gesagt kostet es mich Einiges an Anstrengung, das aus- und durchzuhalten.

Aber ich sehe ja, wie es P. Schritt für Schritt richtig gut gelingt, (mit Unterstützung seiner Eltern, selbstredend) seinen eigenen, individuellen Weg zu finden.

Mensch, denke ich bei mir, als ich meinen Sohn inmitten der anderen Kinder auf seiner Geburtstagsparty herumtollen sehe, wann ist er eigentlich so groß und so reif geworden? Verdammt, gefühlt trank er doch erst vorgestern an meiner Brust und knüpfte gestern oder so mit drei Jahren im Kindergarten seine ersten Freundschaften …

Mensch, was bin ich stolz auf den – gar nicht mehr so knirpsigen – Knirps.

Dieser Text erschien erstmal am 20. September 2022 bei „Hallo:Eltern“.

Zwischen Faszination, Freude und Furcht – wie es ist, ein Papa zu sein


Ein Vater berichtet aus seinem Alltag mit drei Töchtern

Wie fühlt es sich eigentlich an, Vater zu sein? Was ist toll dran und was eher nicht so? Was treibt so ihn um – und an?
Kürzlich hatte ich einen richtig tollen Papa im Interview: Thomas, 41 Jahre alt, freier Autor von Hörspielen, Hörbüchern, Romanen und gegenwartsliterarischen Texten aus Geesthacht – und war ehrlich überrascht von seinen aufrichtigen Antworten auf meine doch ziemlich persönlichen Fragen.

Thomas, Du bist gerne Papa. Oder?
Ja, meistens. Meine Frau und ich haben zwei Pflegetöchter mit starken Bindungsstörungen im Alter von zwölf und elf Jahren sowie ein leibliches Kind, ein Mädchen von vier Jahren. Sie sind alle drei grundverschieden, das ist spannend: Während die eine total strebsam ist, nimmt die andere Manches gerne auf die leichte Schulter und glaubt, das Glück stets auf ihrer Seite zu haben. Und unsere Kleinste entdeckt und erkundet gerade die Welt. Die jeweiligen Entwicklungen der Kinder zu beobachten und zu erleben, das ist natürlich klasse und ein echtes Privileg.

Gibt es neben all der Faszination und Freude auch Dinge, die Dir als Vater Angst machen?
Na klar, alle Eltern haben doch so ihre Sorgen. Ich bin so stolz auf meine Mädchen und glücklich, sie zu haben. Aber da ist auch immer mal mehr und mal weniger unterschwellig die Urangst, ihnen könnte etwas geschehen – oder sie könnten an die „falschen“ Leute geraten. Obwohl ich der Meinung bin, sie müssen viele Erfahrungen selbst machen, möchte ich sie doch immer wieder beschützen und behüten.

Wie gehst Du mit dieser Sorge um?
Ehrlich gesagt ist es eine Gratwanderung zwischen: sie „einsperren“ wollen und sie allein in die Welt hinaus gehen lassen.
Vielleicht erzähle ich an dieser Stelle eine kleine Anekdote, um es etwas verständlicher zu machen: Ich war mit einigen Kumpels unterwegs. Es kam eine junge Frau auf uns zu, sehr attraktiv. Meine Ehefrau war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger mit unserem dritten Mädchen. Meine Kumpels so über die Fremde: „Wow, was für ein Geschoss!“ Und so weiter. Da dachte ich nur: „Auf solche Typen wird eine unserer Töchter auch mal stoßen.“ Andererseits sind meine Kumpels allesamt selbst tolle Väter und prima Ehemänner. Dennoch: Für mich fühlt es sich an wie ein Tanz auf dem Vulkan.

Verstehe. Und sie werden so schnell groß, unsere Kids, nicht wahr? Wie geht es Dir damit?
Es ist doch verrückt oder? Mir fällt da ehrlich gesagt immer Reinhard Mey mit seinem Song „Kleines Mädchen“ ein. Er beschreibt darin, wie sein kleines Mädchen gestern noch Schutz auf seinem Schoß suchte und heute als junge Frau bereits Bänder im Haar hat. Es trifft mich immer wieder und macht mich glücklich und traurig zugleich. Meiner Frau geht das übrigens auch so.

Ja, alles hat eben mindestens zwei Seiten … Da werden wohl die allermeisten Eltern wehmütig. Darf ich fragen, wie es um eure Paarbeziehung steht, seit ihr Kinder habt?
Wir sind seit 21 Jahren ein Paar, meine Frau war zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens gerade einmal 18 und ich 20 Jahre alt. Das ist natürlich eine lange Zeit zusammen. Sie ist Lehrerin und Künstlerin, es ist unglaublich, was sie alles auf die Beine stellt. Als Team sind wir wirklich spitze, ziehen an einem Strang und haben gemeinsame Ziele …

Höre ich da ein „Aber“ heraus?
Naja, wir haben offen gestanden kaum Zeit für uns beide – und uns wahrscheinlich deshalb etwas aus den Augen verloren – auch sexuell. Das macht mich ziemlich traurig. Wir Eltern bauen uns leider immer wieder eigene Gefängnisse und vergessen, wie man die Türen öffnen kann: Die Miete muss gezahlt werden, die Kinder haben Hunger, wollen spielen und beschäftigt werden … Meine Frau möchte malen, ich möchte auf Konzerte oder reisen. Hach, da sind viele Bedürfnisse, die da aufeinanderprallen. Wir haben uns selbst Ketten angelegt, die wir wachsen lassen, um es einmal mit Charles Dickens zu sagen.

Ich glaube, das geht doch aber den meisten Menschen in Langzeitbeziehungen so – nicht nur denen mit Kindern. Oder?
Ja, das denke ich auch. Leider. Eine Patentlösung gibt es da wohl nicht. Jedes Paar muss selbst schauen, wohin es der Weg führt. Oder was meinst Du?

Mhm … ja. Zum Glück bin ich heute nur die Fragestellerin … Ich sage nur „Coolidge“ … Wollen wir das einmal so stehen lassen?
Gern. Es ist nun einmal so.

Danke, lieber Thomas, für das offene Gespräch.
Besten Dank zurück, gern wieder.

Sexismus und Co.: So vermitteln „Jungseltern“ ihren Kids den respektvollen Umgang mit Mädchen und Frauen

Für ein Online-Parenting-Magazin beschäftigte ich mich mit einem etwas „heiklen“ Thema – und zwar diesem hier: „Wie lehre ich meine Jungs einen respektvollen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht?“ Puh. Darüber könnte ich – Mama zweier kleiner Jungs im Alter von bald neun und bald sechs Jahren – ganze Fachbücher schreiben. Doch musste ich mich leider auf eine Kolumne beschränken. Et voilà – hier ist sie.

Ehrlich gesagt finde ich das oben benannte Thema sowas von schwierig und komplex, dass ich mich dazu erst einmal in den sozialen Medien umhören „muss“. Meine eigene Meinung? Jaja, die habe ich natürlich auch. Sie kommt auch, warte ein bisschen.

Das familiäre Vorbild ist wichtig“
Heike, eine tolle Frau Mitte fünfzig und Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohnes, antwortet mir prompt: „Ich glaube, das Allerwichtigste ist das familiäre Vorbild.“ Und genauer? „Wie gehen Männer und Frauen miteinander um? Das ist das Entscheidende.“ Ja. Das leuchtet ein oder? Und es erinnert mich an unseren eigenen, familieninternen Umgang miteinander. Wir Eltern leben zu Hause „relativ gleichberechtigt“. Okay, ich kümmere mich etwas mehr und häufiger um die Buben und arbeite selbst halbtags (vormittags), um nachmittags eben genau das tun zu können: mich intensiv mit meinen Jungs beschäftigen.

Mädchen tun dies, Jungs das? Macht und Verantwortung
Lernen meine „Männerchen“ daraus, das eine Mama sowas „eben so tut“? Ich denke: Ja, das kann gut sein. Na und? Ich finde es nicht schlimm oder gar „besorgniserregend“. Warum auch? Ich kann es nicht mit einhundertprozentiger Sicherheit sagen, aber: Ich als Kind der DDR kam früh in die Krippe, wurde erst gegen fünf Uhr am Frühabend wieder abgeholt. Ich kannte es nicht anders, aber ich bin überzeugt, dass genau das etwas (leider nicht allzu viel Gutes) mit mir und meinem Selbstwertgefühl gemacht hat. Doch das ist wieder eine andere Geschichte. Ich jedenfalls wollte es „anders“ machen – und behielt meine Jungs bis zum Einläuten des „Kindergartenzeitalters“ daheim. Ob das „richtig“ war? Ja, davon bin ich überzeugt (ICH, ihr müsst gar nix, okay? Wie sagt man so schön: Jeder nach seiner Façon. Finde ich in Bezug auf dieses Thema jetzt zwar NICHT, aber egal). Auch das ist wohl ein Thema für sich und hat mit dem Thema „Sexismus“ nur bedingt zu tun.

Die größten Sexisten sind Frauen“
Frank – Vater vierer Kinder, darunter zweier Jungs – ist Ende fünfzig und denkt wie folgt: „Sexismus ist sogar herrlich, wenn man in einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter ist und darüber lachen kann. Die größten Sexisten sind übrigens Frauen untereinander … Doch sie geben das nur selten zu. Der echte, eher ’niederträchtige‘ Sexismus kommt seltener vor. In unserer Familie spricht das vor allem meine Frau sofort an. Wir warnen die Kids davor, dem schlechten Beispiel zu folgen. Meist handelt es sich jedoch nicht um aktuelle Themen, sondern um Beispiele, Handlungen oder Wörter aus der Vergangenheit, die gelegentlich angeschwemmt werden.“ Gleichberechtigt, gleich behandelt, gleich … gesinnt? Ich finde: Machen wir doch bitte kein Drama draus … jedenfalls nicht hier (okay, gleich viel verdienen, daraus schon …).

Kein Gedöns draus machen“
Auch ein Mann ohne Kinder meldet sich zu Wort. „Ich glaube, man sollte kein Gedöns draus machen“, schreibt Günter K. „Die Kinder bekommen das schon mit und fragen. Ich finde, dass Erwachsene dann korrekt nüchtern und sachlich antworten sollten.“ Nüchtern? Weiß ich nicht. Rotwein wäre gut (haha). Aber sachlich? Ja, da bin ich für. Aber jetzt mal ganz im Ernst: Ich gehe an dieser Stelle ganz bewusst nicht ins Detail und versuche, etwas „Schönes“ entstehen zu lassen. Seid mir da bitte nicht gram.

Wie „handhabe“ ich das?
Schluss mit dem Herumdrucksen und weit ausholen. Also: Ich persönlich ziehe meine Jungs mit dem Gedanken an all die kleinen Mädchen all der anderen Frauen groß. Eben, weil ich als doppelte Jungsmama irgendwie die „Macht“ und gleichzeitig die Verantwortung habe, ein Antrieb für einen Wandel in der Gesellschaft zu sein – für eine, die das weibliche Geschlecht stärker wertschätzt. Und hätte ich (ein oder mehrere) Mädchen? Würde ich das Gleiche umgekehrt tun. Hä? Ist doch klar: Weil ich eigentlich nicht „Jungen“ oder „Mädchen“ erziehe, sondern … Menschen. Oder? Oder was? Ich wünsche mir JETZT und HIER eigentlich nur Eines: ein generell (!) respekt- und liebevolles Miteinander – egal, ob weiblich oder männlich. (Mensch!)

Von der 3a in die 3a: So meisterten wir den Grundschulwechsel

Nach dem Umzug von der Stadt raus aufs Land, musste der kleine Sohn unserer Autorin Anja ziemlich plötzlich die Schule wechseln. Wie sie das als Familie gemeinsam geschafft haben – und warum jetzt alle glücklicher damit sind – verrät sie uns hier.

Ganz schön plötzlich

Hilfe! Es ist mehr oder weniger unumgänglich: Nach unserem Umzug von der Großstadt aufs Land vor etwas über zwei Monaten muss unser Achtjähriger plötzlich in nicht einmal zwei Wochen, mit Beginn des zweiten Halbjahres nämlich, doch schon die Schule wechseln. Viel schneller als befürchtet.
Der arme Kerl, denke ich. Erst musste er seine gewohnte Umgebung zurücklassen – und jetzt auch noch seine Mitschüler? Großer Wermutstropfen: Wir leben nicht weit weg entfernt von unser alten „Heimat“, nur etwa 30 Kilometer … Wir kriegen das schon hin. Schritt für Schritt.

Lügen? Nein, danke …

Es ist Freitagmittag. Ich fahre in die Stadt, um P. von der Schule abzuholen. 25 Minuten Zeit zum Nachdenken für mich. Vor etwa einer Stunde kam der Anruf der neuen Grundschulrektorin. Sie teilte mir mit, unserem Antrag auf Verbleib auf der alten Schule könne „nicht so einfach“ entsprochen werden. Seitdem denke ich darüber nach, welche Hebel ich in Bewegung setzen könnte, um einen Wechsel zu verhindern.

Ich weiß: Es gibt da so einige „Tricks“, die man anwenden könnte. Aber: Welche Werte würden wir Eltern unserem Kind vermitteln, griffen wir auf Flunkereien oder gar gröbere Lügen zurück? P.s Papa ist ganz meiner Meinung.

„Ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll …“

Ich parke und nehme meinen Drittklässler am Schultor in Empfang. Freudiger Hopserlauf bei ihm. Beim Einsteigen ins Auto sage ich ihm, dass ich leider Nachrichten hätte, die traurig, aber auch schön zugleich seien – und, dass ich nicht so recht weiß, wie ich es ihm sagen soll …

„Raus damit, Mama!“ Ein ernster Blick aus braunen Kulleraugen. Ich erzähle es ihm kindgerecht; seine Augen werden feucht, und er gibt mir zu verstehen, dass er das „so richtig blöd“ findet. Ja, ich auch.

Wir halten kurzerhand bei einem Imbiss, essen Pommes mit Ketchup, trinken Apfelsaft und reden. Wir überlegen gemeinsam dies und das, malen uns Dinge aus. P. wirkt beruhigter, als ich ihm erkläre, dass er seine Kumpels ja nach wie vor regelmäßig privat und beim Taekwondo sehen wird. Und seine liebe Klassenlehrerin werde ich fragen, ob wir sie einmal besuchen dürfen. (Sie wird übrigens später freudig einwilligen …)

„Coole Schule“

Vor der Jahreswende waren wir glücklicherweise bereits ein paar Mal zum Bolzen, Körbewerfen und Spielen auf dem Hof der neuen Grundschule. Ich erinnere mich, wie P. einmal zu mir sagte: „Mama, das ist eine ziemlich coole Schule. Hier wäre ich gern mit meinen Freunden.“

Zurück in die Gegenwart. In der Facebook-Gruppe unseres neuen Heimatortes frage ich nach, ob es dort Eltern gibt, deren Kids die hiesige Grundschule besuchen. Ich habe Glück, und es melden sich sogar etliche Menschen. Ich darf Fragen stellen, bekomme – natürlich umsonst und ungefragt – auch „Informationen“ über Lehrer, „bestimmte“ Schüler und deren Eltern.

„Frau H. ist toll!“

Ein paar Tage später: P. ist gut „angekommen“. Er erzählt, dass es zwei Kinder an der gesamten Schule gibt, die seinen Vornamen tragen. Und der andere sei sogar in seiner Klasse! Findet er „saucool“. Und er schwärmt von seiner neuen Klassenlehrerin.

Recht hat er, ich durfte sie beim Hinbringen am ersten Schultag bereits in Augenschein nehmen: Pudelmütze, Strickschal, Wollmantel, Leggings, gefütterte Chucks bis zur Wadenmitte.

Sie ist Anfang Dreißig, wirkt frisch und frech. Auf den ersten Blick also „genau meins“. Während unserer ersten Begegnung fragte mich Frau H. heiter, welche Noten denn auf P.s Zeugnis stünden. Ich so: „Gute bis befriedigende.“ Und sie so: „Prima!“ Im Ernst: Ich liebe sie jetzt schon.

Neue Freunde und ein Frühlingsfest

Zwei Monate später; es ist jetzt Anfang März. P. kommt aus der Schule, wir essen und reden über den Unterricht, aktuelle Geschehnisse. Scheinbar beiläufig frage ich: „Vermisst Du eigentlich Deine alte Schule noch sehr?“ Mein tapferer Drittklässler schüttelt den Kopf. „Mama, jetzt habe ich hier doch auch schon Freunde gefunden.“ Vor allem der Nachbarsjunge sei sehr wichtig für ihn geworden. P. zuckt mit den Schultern. „Den würde ich jetzt sehr vermissen.“

Spontan kommt uns eine feine Idee: Nächsten Monat wollen wir ein kleines Fest veranstalten, mit dem wir Frühjahr und Freundschaft feiern wollen: mit tollen Spielen, leckerem Essen – und jeder Menge Freude.

Faces in Times of Corona (oder: Gesichter und Geschichten einer Pandemie)

„Liebe Anja“, beginnt meine Münsteraner Freundin Anne Knoke ihre Widmung im selbst gestalteten und herausgegebenen Bildband „Faces in Times of Corona“, „hier ist es nun, das Buch dieser merkwürdigen Zeit …“
Dann folgen sehr persönliche Worte an und für mich, aber „merkwürdige Zeit“ trifft es. Trifft mich. Und das immer wieder, wenn ich ernsthaft darüber nachdenke.

„Was bewegt Dich?“
„Als Corona anfing …“, lautet Annes erster Satz, wenn sie einen Interviewpartner für ihr Fotoprojekt „Faces in Times of Corona“ vor die Kamera holt. Sie lässt die Protagonisten dann eigenständig diesen Satz beenden – und drückt dabei ein paar Mal auf den Auslöser. Auf den nächsten Satz, auf die nächsten Worte folgt der nächste Shoot – und manchmal sprudelt es dann förmlich aus den Menschen heraus.
„Die ersten Gesprächspartner kamen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis, später auch aus anderen Städten und Regionen Deutschlands.“ Die essentiellen Fragen an alle Teilnehmenden: Wie geht es Dir jetzt in der Pandemie-Zeit? Was machst Du, was bewegt Dich?

„Ich wusste: Es wird eine langwierige Sache“
Gedanken und Gefühle, Sorgen und Ängste, Beklemmungen und Hoffnungen: All die möchte Anne gern erfahren und in Wort und Bild für die Zukunft festhalten: „Ich dachte mir Anfang des Jahres 2020 schon, dass das eine langwierige Sache wird“, schreibt sie mir im Chat. „Und jetzt haben wir bald März 2022 …“ Ich spüre ihr Achselzucken förmlich und bis hierher. Sie ahnte es bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem viele andere noch an ein recht kurzes „Ende mit Schrecken“ glaubten.

Ihre wunderbaren Interviews und berührenden Fotografien postet Anne anfangs in den sozialen Medien und auf ihrer Website. Sie nennt die Serie „Faces in Times of Corona“, wörtlich übersetzt: Gesichter in Zeiten von Corona.
Die Resonanz auf das Projekt ist sehr gut, immer mehr Menschen möchten der inzwischen 43-Jährigen gern Rede und Antwort – und vor allem: Porträt – stehen. So viele Interviews und Bilder kommen auf diese Weise zusammen, dass die Mutter dreier Kinder beschließt, alle in einem Buch zusammenzuführen und vor allem die Fotografien wirken zu lassen – neben einzelnen aussagekräftigen Zitaten. Anne dokumentiert zunächst einmal ab März 2020 und bis Mai 2021 – über ein Jahr Pandemie.

Christoph, Clown und Pantomime

„Entweder, es erwischt mich … oder nicht.“
Während ich das Buch durchblättere, um hier mal mehr und dort noch mehr hängenzubleiben, stelle ich wieder einmal fest: Menschen sind so vielschichtig wie das Leben selbst – ihr Erscheinungsbild, offensichtliche Charaktere, Ansichten …

Esther ist psychologische Psychotherapeutin. Sie weiß um die seelische Not mancher Menschen in Zeiten von Corona. „Ich habe von Anfang an schon mit Schrecken daran gedacht, was das für soziale Folgen haben wird. Und das scheint sich jetzt zu bewahrheiten. Inzwischen rufen immer mehr Menschen an, denen es aufgrund der Pandemie wirklich entsetzlich geht. Die überhaupt nicht damit zurecht kommen, weil sie … keinerlei Kontakte mehr haben, sich verlassen und verloren fühlen … vor allem auf der emotionalen Ebene.“ Die Badbergerin spricht von zunehmender häuslicher Gewalt, überlasteten Jugendämtern und überforderten Lehrern.

Esther, psychologische Psychotherapeutin

„Was mich wirklich besorgt“ schreibt hingegen Designerin Diana, „ist die zunehmende Härte und soziale Kälte, die ich on- und leider auch manchmal offline beobachte.“
Und Pantomime und Krankenhausclown Christoph, hat keine Angst vor Corona. „Entweder, es erwischt mich … oder es erwischt mich nicht. Da bin ich recht unbedarft. Aber ich möchte natürlich einfach weiter leben.“

Amy, Schülerin

„Es wird mehrere Generationen dauern, bis sich die Menschheit von der Pandemie erholt hat“
Anne Knoke lässt in dem knapp einhundert Bilder und etwas über fünfzig Interviewpartner umfassenden Werk auch Kinder zu Wort kommen – so zum Beispiel Schülerin Amy: „Als das angefangen hat, hatte ich mega Angst, dass meine Eltern sich anstecken und sterben.“

Der zwölfjährige Viggo – Annes ältester Sohn – erzählt ziemlich resigniert: „Durch die Vereinsamung ist das Leben bei vielen kaputt. Deswegen glaube ich, dass es auch beim Miteinander mehrere Generationen dauern wird, bis sich die Menschheit da komplett von erholt hat … Jetzt sind alle deprimiert und vereinsamt und vor allem verschlossen. Da muss es erstmal einen Neuanfang geben.“

Viggo, Schüler und Sohn von Anne Knoke

Anne sagt, während des Interviews habe Viggo auch geweint. Welche Mutter lässt das kalt … ? Allein bei der Vorstellung, mein „großer“ Achtjähriger würde derartig weise, traurige Worte von sich geben, steigen mir wirklich die Tränen in die Augen.

Ehrlich gesagt habe ich lange überlegt, mit welchem Ende ich diesen Blog-Artikel versehen soll. Und komme zu dem Schluss: Es gibt kein wirklich passendes. Alles noch „Open End“, nicht wahr?
An dieser Stelle nur ein kleiner Appell: Lest die vollständigen Interviews gerne nach; ihr findet sie auf Annes Website www.trugbild.net. Und kauft ihr Buch, es lohnt sich. (Kontakt: bild@trugbild.net)
Danke, liebe Anne, für diese an- und berührende Dokumentation. Ich lieb‘ Dich, nicht nur dafür.